In einem Frachthafen wie in Rotterdam, Antwerpen oder Hamburg – um nur ein paar der größten europäischen Häfen zu nennen – laufen jeden Tag viele hundert Schiffe ein oder aus. Sie bringen Waren ins Land, nehmen neue an Board und brechen dann wieder auf ihre Reise rund um die Welt auf. Das wiederholt sich in jedem weiteren Hafen, den ein Schiff anläuft: ein dichtes, eng getaktetes Netz aus Port Calls.
Ein Port Call umfasst den gesamten Prozess, mit dem ein Schiff effizient und sicher in den Hafen gebracht, dort abgewickelt und schließlich wieder hinausgebracht wird. Damit alles möglichst reibungslos abläuft, sind viele Personen und Dienstleistungen beteiligt. Das beginnt schon bei den Lotsen, die das Schiff in den Hafen begleiten. Dann erfolgt die Be- und Entladung mit Kränen; Lastwagen oder gar Züge liefern Waren oder holen diese ab, das Schiff wird mit neuen Lebensmitteln versorgt, der Abfall wird entsorgt, es wird getankt, vielleicht wechselt auch die Mannschaft, was Personentransporte notwendig macht …
Verschiebungen von Port Calls führen zu Problemen
Damit alles optimal vorbereitet ist, meldet ein Schiff im Vorfeld, wann es im Hafen einlaufen wird. Liegezeiten sind teuer und möglichst zu vermeiden. Aber was, wenn sich die geplante Ankunft verzögert? Manchmal dauert es in einem anderen Hafen länger oder schlechte Wetterbedingungen erschweren die Fahrt. Schnell kann der ursprüngliche Termin nicht mehr gehalten werden. Manchmal kommen Schiffe auch früher: vielleicht haben sich Probleme plötzlich gelöst oder der Port Call im vorletzten Hafen lief schneller als erwartet ab.
Bekommt ein Hafen rechtzeitig alle notwendigen Informationen, ist eine solche Verschiebung meistens kein Problem. Doch wenn die Nachricht nicht rechtzeitig oder unvollständig ankommt, kann es sein, dass keine Liegeplätze frei oder kein Personal für die Be- und Entladung verfügbar sind. Vielleicht gibt es auch keinen sofortigen Weitertransport für die Ware – Lagerplatz ist aber ebenfalls keiner frei. Das Ergebnis: Das Schiff liegt so lange im Hafen, bis es vollständig abgefertigt werden kann. Dadurch entstehen hohe Kosten und weitere Verzögerungen, die sich auf zukünftige Port Calls auswirken.
Unterschiedliche Kommunikation je nach Hafen
Natürlich versuchen alle Beteiligten, ein solches Szenario zu vermeiden. Je nach Hafen erfolgt die Kommunikation auf unterschiedliche Art und Weise. In kleinen Häfen geschieht das oft per E-Mail. Das bedeutet schon bei der initialen Ankündigung eines Schiffes viel Aufwand. Eine Änderung in der Ankunftszeit kann dann eine wahre E-Mail-Flut auslösen: Welches Personal ist wann wo? Welche Fahrzeuge werden benötigt? Wie sieht es mit Lagerkapazitäten aus? Welche Waren müssen wohin transportiert werden? Scheitert dann die Terminabsprache mit dem letzten Beteiligten in der Kette oder ist eine wichtige Frist verstrichen, müssen im schlechtesten Fall alle von vorne beginnen.
In vielen großen Häfen gibt es Systeme, über die man Informationen beziehen und manchmal auch kommunizieren kann. Ganzheitlich, mit einer Informationskette ohne Brüche, klappt das aber selten. Und egal ob per Mail oder mit einem solchen System: Im Hintergrund stehen fast immer manuelle Teilprozesse, in denen viele Faktoren im Blick zu behalten gilt. Das kostet Zeit und Ressourcen.
Wie gelingt die Port Call Optimization?
Hier setzt die Port Call Optimization an. Ihr Ziel ist es, den gesamten Prozess effizienter und vorhersagbarer zu gestalten. Der Schlüssel für einen reibungslosen Ablauf sind dabei Daten – und dass diese allen zur Verfügung stehen, die sie benötigen. Da liegt es nahe, eine zentrale Plattform für diesen Zugriff und die damit verbundene Kommunikation aufzusetzen. Ansätze für solche, die Transportkette übergreifende Plattformen gibt und gab es bereits viele. Durchgesetzt hat sich jedoch keine.
Die wohl wichtigste Frage – und gleichzeitig die größte Herausforderung – ist dabei: Wie kommen die Daten in die Plattform? Die bisherigen vergeblichen Versuche haben gezeigt, dass der technische Aspekt gar nicht entscheidend ist. Vielmehr steht dem Erfolg neben Datenschutzbedenken und Datenhoheit eine ungünstige Kosten-Nutzen-Rechnung entgegen. Die involvierten Unternehmen müssen die Daten – ggf. mit einem hohen Aufwand – bereitstellen und profitieren erst später davon. Wenn überhaupt. Ein möglicher Workaround wäre es, entsprechend Daten zu kaufen. Doch obwohl es sie gibt, sind sie eher bruchstückhaft. Damit ist auch diese Herangehensweise weit von einer idealen Lösung entfernt.
Statt einer zentralen Plattform: an der Basis beginnen
Wenn wir das alles in Betracht ziehen, bleibt nur ein logischer Schluss: Für eine erfolgreiche globale Plattform müssen wir am anderen Ende beginnen – „an der Basis“, dort wo die Daten entstehen. Warum also nicht lokal genutzte Services aufsetzen, deren Nutzen alle Beteiligten sofort sehen? Man stellt Daten bereit, lässt die Technologie arbeiten und profitiert am Ende von ihren Ergebnissen.
Der erste Schritt zur Umsetzung solcher Services ist es, den aktuellen Status und die Prozesse zu virtualisieren, die einen direkten Mehrwert für das betroffene Unternehmen aufweisen. Im zweiten Schritt erfolgt dann eine Optimierung dieser Prozesse durch Services und Automatisierungen. Das Ergebnis: effizientere individuelle Prozesse. In Schritt 3 können schließlich auf Basis der vorhandenen Daten Vorhersagen getroffen werden. So ist es möglich, sich verändernden Bedingungen oder zukünftige Probleme proaktiv zu begegnen.
Künstliche Intelligenz statt verstreuter E-Mails
Kommen wir zu dem Beispiel zurück, in dem die gesamte Planung von Port Calls über E-Mails abläuft. Es werden Absprachen getroffen, Zeiten und Termine vereinbart, ein Bedarf an Dienstleistungen und Waren festgehalten. All diese Informationen sind in vielen verschiedenen E-Mails verstreut. Benötigt jemand eine Information, muss er sie im schlechtesten Fall lange suchen – oder findet sie erst gar nicht.
Im Sinne der Port Call Optimization kann eine Künstliche Intelligenz (KI) eine gute Lösung darstellen. Die KI „liest“ die E-Mails und extrahiert die enthaltenen Informationen. Im nächsten Schritt stellt sie diese an einer zentralen Stelle bereit. Gibt es Änderungen an bereits bestehenden Informationen, ergänzt die KI sie ebenfalls. Alle Daten sind zentral zugreifbar, ein umständliches Heraussuchen entfällt und Widersprüche fallen schneller auf.
Die KI kann sogar Vorhersagen treffen. Sie kann auf mögliche Probleme und zeitliche Überschneidungen hinweisen, die den menschlichen Akteur*innen bisher entgangen sind. Gibt es zum Beispiel zwei gegensätzliche Absprachen zu einem Termin für eine Dienstleistung, kann die KI darauf hinweisen – und einen alternativen Termin vorschlagen. Wenn der Service zusätzlich mit der Schifffahrtslinie verbunden ist, kann diese ihre Daten automatisiert an die anzufahrenden Häfen geben. Niemand muss darauf warten, dass jemand Zeit hat, eine E-Mail zu schreiben oder zu lesen. Das bedeutet am Ende eine schnellere Abwicklung, geringere Kosten und den effizienteren Einsatz von Arbeitsmitteln und Personal.
Die KI kann auch E-Mails vorbereiten, wo gewünscht. Das gute daran ist, dass alle am Port Call Beteiligten mit denselben Systemen und Methoden, die sie kennen weiterarbeiten können, wenn sie wollen. Sie werden nicht gezwungen, sich zu verändern, aber langsam in Richtung Digitalisierung geführt. Bei Bedarf, oder wenn sie so weit sind, können sie den nächsten Schritt gehen – bis hin zur vollen Digitalisierung.
Ein digitaler Fracht-Marktplatz für Schiffsmakler
Ein anderes Beispiel: ein digitaler Fracht-Marktplatz für eine*n Schiffsmakler*in. Schiffsmakler*innen sind spezialisierte Vermittler für z. B. Schiffsraum, Ladungen, Liegeplätze, den Weitertransport von Waren etc. Auf die dadurch entstehenden Daten können im Normalfall nur die jeweilige Makler*innen zugreifen. Gibt es dann eine Änderung, muss ggf. eine aktualisierte Übersicht erneut an die Kund*innen gesendet werden. Auch die Buchung weiterer Leistungen muss manuell erfolgen – per E-Mail oder telefonisch.
Wenn ein digitaler Marktplatz vorhanden ist, erfolgt die komplette Abwicklung dort. Die Kund*innen erhalten permanent einen aktuellen Überblick über ihre gebuchten Leistungen, vielleicht sogar mit dem aktuellen Status (beauftragt, in Durchführung, abgeschlossen). Auch ist es dann deutlich einfacher, zusätzliche Leistungen wie eine Reparatur, Ärzt*innen, einen Restaurant- oder einen Konzertbesuch für die Mannschaft zu buchen. Ein Klick auf dem Marktplatz genügt.
In einem weiteren Schritt sind sogar automatisierte Prognosen über benötigte Dienstleistungen denkbar. Aus der Erfahrung mit vorherigen Buchungen bekommen Kund*innen aktiv Vorschläge, welche Leistung ihnen vielleicht noch gefallen könnte. Auch könnte ein Überblick über potentielle freie Ressourcen in der Zukunft (Schiffsraum, Liegeplätze, …) zu automatisierten Vorschlägen für weitere Buchungen führen.
Verbesserte Personalplanung im Hafen
Gehen wir vom Schiff über die Makler*innen hin zum Personal im Hafen: auch die Personal- und Ressourcenplanung ist ein wichtiger Bestandteil der Port Call Optimization. Wer hat zum Beispiel gerade Urlaub? Wer ist für wie lange krankgemeldet? Wer muss wann frei haben, um seine Arbeitszeit nicht zu überschreiten? Personalplanung ist alles andere als trivial, vor allem, wenn Schichtdienst im Spiel ist. Noch schwieriger wird es dann, wenn es nicht nur darum geht, wer gerade arbeitet – sondern auch wo. Je nachdem, wie viele Schiffe einlaufen und welche Arbeiten notwendig sind, können die Mitarbeiter*innen an einem Ort oder an einem anderen eingesetzt werden. Wie kann man nun sichergehen, dass alles möglichst effizient organisiert ist?
Technologische Unterstützung für die Personalplanung gibt es schon länger. Dadurch stehen viele Daten bereits digital zur Verfügung und nicht nur als (schnell veraltete) Papierpläne oder als Ergebnis mündlicher Abmachungen. Mit einem entsprechenden Service können die verfügbaren Ressourcen in der Planung dann direkt mit den benötigten Dienstleistungen zusammengebracht und auf diese „verteilt“ werden. Gibt es notwendige Änderungen, ist der aktuelle Stand zeitgleich an allen wichtigen Stellen abrufbar.
Kommt nun zum Beispiel eine Künstliche Intelligenz ins Spiel, die Wettervorhersagen in die Planung aufnimmt, sind noch einmal deutlich dynamischere Anpassungen möglich. Kommt ein Schiff wegen eines Sturms vermutlich einen bis drei Tage später? Kein Problem: wir passen die Planung schon einmal an, so dass auf jeden Fall genügend Personal am richtigen Ort vorhanden ist – egal wann das Schiff ankommt. Das alles passiert vollkommen automatisch, ohne dass sich jemand hinsetzen und manuell etwas ändern muss.
Lokale Services mit großem Mehrwert
All diese Beispiele zeigen, wie Services und Automatisierungen vorhandene Prozesse optimieren können. Auch die Möglichkeiten, die der Einsatz einer KI bietet, werden deutlich. All das passiert auf der „untersten Ebene“ des dichten, eng getakteten Netzes von Port Calls: zwischen Schiff und Hafen, zwischen Unternehmen und Schiffsmakler*innen oder auch innerhalb des Hafenmanagements. Die einzelnen Services sind maßgeschneidert für die jeweiligen Situationen und bringen dort einen hohen Mehrwert.
Denken wir nun einen Schritt weiter. Was wäre, wenn wir all diese kleinen, separaten Services bündeln und zu immer größeren Einheiten zusammenfassen? Am Ende könnten sie alle gemeinsam ein einziges, global eingesetztes System bieten – und das ohne Extra-Aufwand. Durch die lokalen Services sind alle Daten bereits im System, werden aktiv genutzt und sind immer aktuell. Niemand muss sich hinsetzen und etwas manuell einpflegen.
Auf dem Weg zum Green Connected Corridor
Natürlich müssen Rahmenbedingungen wie der Datenschutz, eine etwaige Anonymisierung und eine sichere Zugriffskontrolle gegeben sein. Ist das der Fall, können alle Beteiligten von einer solchen zentralen Plattform profitieren. Der Aufwand ist gering bis gar nicht vorhanden, der Nutzen hoch. Schließlich liegen neben den eigenen Daten eine Vielzahl anderer auf der Plattform – die das eigene tägliche Geschäft sinnvoll ergänzen können.
Durch das Bottom-Up-Vorgehen – vom lokalen Service hin zur globalen Plattform – entsteht eine völlig neue, optimierte Supply Chain ohne Verluste, mit weniger Kosten und geringeren Emissionen. Es entsteht der Green Connected Corridor – eine digitale Verbindung zwischen allen Gliedern der Transportkette, welche den sicheren, vertrauenswürdigen und einfachen (Plug & Play) Datenaustausch zwischen allen ermöglicht, die von diesem im maritimen Transport profitieren können. Er macht Daten und Informationen verfügbar, deren Nutzung heute noch undenkbar erscheint.
Port Call Optimization mit dem Green Connected Corridor
Bei der Port Call Optimization geht es um mehr als nur geringere Liegezeiten. Es geht darum, immer die genaue Location einer Fracht zu kennen. Darum, Zugriff auf Vorhersagen zu haben, die den Transport effektiver machen und die CO2-Emissionen verringern. Darum, den Wert und die Nachhaltigkeit eines Unternehmens gleichermaßen deutlich zu steigern. Und um vieles mehr. Der Green Connected Corridor ermöglicht genau das, egal ob durch lokale Services oder eine globale Plattform. Seien Sie gespannt.
Möchten Sie erfahren, wie Sie schon heute einen Schritt in die richtige Richtung machen können? Sprechen Sie mich einfach an – wir zeigen Ihnen, welche Services Ihr Unternehmen voranbringen.
Sascha Westermann ist Business Development Manager bei Fujitsu. Er interessiert sich für Mobilität, Verkehr und Transport sowie die ganzheitliche Optimierung im Bereich von Hafen- und Logistikabläufen. Privat reist er sehr gerne, um Land und Leute kennenzulernen.