Von der Idee zur Umsetzung: Adaptive Ausschreibungen als Antwort auf moderne Herausforderungen

Ausschreibungen von Leistungen und Produkten gibt es schon so lange, dass scheinbar keiner mehr weiß, wie das alles begonnen hat. Sicher ist wohl nur, dass Ausschreibungen im Kern dem Bedürfnis entsprechend, die passendste Lösung in der besten Qualität zum günstigsten Preis zu finden. Die zu einer Ausschreibung gehörenden Regularien und Gesetze zielen allerdings darauf ab, jeden Anbieter gleich zu behandeln.

Denken wir nur einmal daran, wie rasant sich die Technik im Bereich unserer Handys entwickelt hat. Mit der Einführung von Künstlicher Intelligenz (KI) wird sich diese Entwicklung noch einmal erheblich beschleunigen. Ein Grund dafür ist aus unserer Sicht, dass jeder mit KI in Berührung kommt und sie nutzt. Wenn man diese Tatsache berücksichtigt und auch die Zeit, die eine Ausschreibung von der Idee bis zum Betrieb durch einen Partner benötigt, ist eine Veränderung unausweichlich.

Wir haben mit Gerhard Köhler über die Herausforderungen bei IT-Service-Ausschreibungen gesprochen und wie eine neue Methode dabei helfen kann.

Eine neue Methode für bekannte Herausforderungen

Gerhard Köhler

Gerhard Köhler

Hallo Gerhard – schön, dass du dir heute Zeit genommen hast. In deinem neuen Buch widmest du dich gemeinsam mit deinen Co-Autoren einer neuen Methode, um IT-Services bei Kunden zu implementieren. Warum ist eurer Meinung nach überhaupt eine neue Methode notwendig? Es funktioniert doch schon seit sehr vielen Jahren.

Die Entwicklung in der IT ist schon seit längerem extrem schnell. Innerhalb weniger Jahre kommen neue Technologien und Methoden auf den Markt, die Unternehmen dabei unterstützen, ihre Leistungen in einer höheren Qualität und / oder Stabilität anzubieten. Oder sie einfach kostengünstiger herzustellen. Auch der immer stärkere Wunsch der Kunden, Dienstleistungen einfacher zu beziehen, ist zu einem wichtigen Differenzierungsmerkmal im Markt geworden – Stichwort „Self-Service“. Wer hier mithalten will, muss schnell und flexibel reagieren.

Ich kann das an meinem eigenen Verhalten gut nachvollziehen. Wenn ich irgendwo eine Leistung in besserer Qualität oder stabiler in der Erbringung bekommen kann, dann denke ich über einen Wechsel nach. Wenn ich dann zusätzlich noch eine Leistung extrem einfach und unkompliziert abrufen kann, werde ich den Anbieter definitiv wechseln. Und Kunden wissen das.

Gleichzeitig werden aber IT-Services, welche die eben angesprochenen Merkmale besitzen, immer noch für einen Leistungszeitraum von 3 oder 5 Jahren ausgeschrieben. Innovationen oder notwendige Änderungen der ausgeschriebenen Services während der Laufzeit erfordern eigentlich wieder eine Art Ausschreibungsprozess. Dieser sogenannte „Change“ findet dann allerdings nur noch zwischen Kunde und Partner statt.

Unserer Meinung nach wird diese Herausforderung durch KI noch verschärft. Denn im Gegensatz zu Frameworks und Defacto-Standards wie beispielsweise ITIL, wird KI wahrscheinlich von allen akzeptiert und eingesetzt werden. Schon heute verwenden wir alle KI, z. B. in unseren Mobiltelefonen. Alle kennen das Thema und beschäftigen sich damit. Das wird unserer Meinung nach IT-Dienstleister vor neue und enorm große Herausforderungen stellen.

Ausschreibungen als langfristige Projekte

Aber warum brauchen wir dafür eine neue Methode? Man kann doch einfach öfter ausschreiben und die Laufzeit der Verträge verkürzen?

Genau wegen dieses Arguments haben wir uns in unserem Buch mit der Entstehung einer Ausschreibung und den verschiedenen Rollen, die an ihr beteiligt sind, beschäftigt. Vom Zeitpunkt, an dem die erste Idee für eine neue Ausschreibung aufkommt, bis zu dem Zeitpunkt, an dem der Partner die neue Leistung auch zu liefern beginnt, vergehen meist 1,5 bis 2 Jahre.

Um zu verstehen, wie dieser Zeitraum zustande kommt, gehen wir in Kapitel 3 auf die beteiligten Rollen ein, sowohl beim Kunden als auch beim Partner. Wir beschreiben dafür jeweils die eigentliche Aufgabe der Rolle und ihre Ziele. Dies verschafft zum einen Klarheit darüber, dass hier nicht alle an einem Strang ziehen und es stärkt zum anderen das Verständnis dafür, warum das so ist.

Viele Verhaltensweisen und Abläufe in Ausschreibungen scheinen von den bei uns und in der EU geltenden Gesetzen und Vorschriften aus dem öffentlichen Bereich abgeleitet. Deswegen befassen wir uns im darauffolgenden Kapitel mit dem Ablauf einer traditionellen Ausschreibung und gehen näher auf die hier zugrunde liegenden Gesetze und Vorschriften ein. Wir geben aber auch nur einen Überblick, um ein Verständnis für die Komplexität zu schaffen.

Eine Verkürzung des Ausschreibungszeitraums wird mit den aktuell von allen angewendeten Methoden nur sehr schwer umzusetzen sein. Und wenn das gelingt, reduziert sich die benötigte Zeit vielleicht um ein paar Wochen oder wenige Monate. Die eigentliche Herausforderung bleibt dennoch bestehen.

Bereits etablierte agile Methoden reichen nicht aus

Okay, verstanden. Aber warum dann nicht einfach schon etablierte agile Methoden wie z. B. Scrum verwenden und umsetzen?

Scrum ist eine Methode aus der Welt der Programmierprojekte, um ein Ziel zu erreichen. Man verwendet Scrum intern, um Projekte umzusetzen und die Ziele der Stakeholder am Ergebnis der jeweiligen Iteration anzupassen und auszurichten. Scrum kann auch zwischen einem Kunden und einem Partner oder mehreren Partnern angewandt werden.

Scrum wird jedoch heute nicht angewandt, um einen Service eines Partners zu designen und im Anschluss zu liefern. Denn wie sollte sich der Partner auf diesen Service einstellen? Eventuell muss seine Organisation angepasst werden, die den Service erbringen soll. Auch das Thema Kosten ist hier eine Herausforderung. Sowohl der Kunde als auch der Partner kalkulieren ihre Aufwendungen vorher und erstellen eine Budgetplanung. Bei Scrum sind der Ausgang und das zu erreichende Ziel im Vorfeld zu ungenau definiert, als dass eine valide Budgetplanung beim Kunden oder beim Partner möglich sind. Auch die Art und Weise, wie das Developer Team in Scrum einen neuen Service planen würde, entspricht nicht den Vorgaben, die Organisationen heute haben. Hier sind zu viele Entscheider zu involvieren, als dass die Methodik Scrum funktionieren würde.

Dieser Herausforderung haben wir uns gestellt. Dazu haben wir auf der Basis der beteiligten Rollen und ihrer Ziele sowie der eigentlichen Herausforderung „Zeit“ eine neue Methodik auf Basis agiler Arbeitsweisen entwickelt. Die Methodik und ihre Umsetzung beschreiben wir in den Kapiteln 5, 6 und 7.

Umfassender Überblick über (adaptive) Ausschreibungen

Du sprachst davon, dass ihr in eurem Buch die Rollen beschreibt, die an einer Ausschreibung beteiligt sind (Kapitel 3) und darstellt, wie eine Ausschreibung abläuft bzw. nach den Gesetzen abzulaufen hat (Kapitel 4). Die Kapitel 5 bis 7 führen dann aus, wie eine Ausschreibung aussieht und wie sie umgesetzt werden kann. Fehlen noch Kapitel 1 und 2 – was habt ihr dort beschrieben?

In Kapitel 1 beschreiben wir, wie es zu dem Buch gekommen ist und welche Herausforderungen es gab. Also: was waren die Auslöser für die Erstellung einer adaptiven Ausschreibung? Wir wollten unser Buch aber auch für Berufseinsteiger schreiben und die Basis für die Interessengruppen recht breit halten. Zusätzlich wollten wir für alle auch eine Art Nachschlagewerk erstellen, in dem wir viele Dinge erklären und beschreiben. Zum Beispiel, was der Unterschied zwischen einer Methode und einem Framework ist, was eine Catch-all-Klausel, was ein BAFO. Die meisten dieser Themen, die wir im Kapitel 2 „Grundlagen und Methoden“ beschreiben und erklären, werden in einer Ausschreibung benötigt.

Daher erklären wir hier auch die verschiedenen Formen einer Ausschreibung, wie den RFI, den RFQ und dann natürlich den RFP. Wo liegen die Unterschiede und welche Formen haben wir im Laufe unserer Karriere noch alles so angetroffen? Sozusagen ein Kapitel über den Stand der Technik.

Sehr interessant. Ihr habt also auch ein Nachschlagewerk für Ausschreibungen erstellt, wie man sie heute im Allgemeinen durchführt.

Ja. Da wir aber auch sehr oft auf einzelne Begriffe gestoßen sind, die nicht überall bekannt sind, haben wir als Kapitel 8 noch ein recht umfangreiches Glossar eingefügt. Hier haben wir zum Teil auch Begriffe erklärt, die wir im Buch verwenden.

Über die reine Theorie hinaus

Ihr scheint also an alles gedacht zu haben. Aber ihr habt in der Theorie eine neue Methode entwickelt. Das wird sicher viele davon abhalten, sich überhaupt damit zu beschäftigen, meinst du nicht?

Nein. Denn diese Methode ist nicht mehr nur Theorie. Sie ist vielmehr auf Wunsch von Kunden entstanden, die genau vor den zuvor genannten Herausforderungen standen und keine Zeit mehr hatten, eine Ausschreibung zu machen. Dann wurde eine Methode entwickelt und gemeinsam mit dem Kunden erfolgreich umgesetzt. Am Ende hatten wir einen zufriedenen Kunden. Die Herausforderungen, mit denen wir sowohl auf Kundenseite als auch bei uns selbst konfrontiert waren, haben uns geholfen, die in diesem Buch beschriebene Methode zu verbessern. Wir konnten diese Methode sogar bei einem öffentlichen Auftraggeber anwenden und erfolgreich umsetzen. Wir sind also schon über die reine Theorie hinaus.

Was würdest du denjenigen sagen wollen, die Interesse an eurer Methode haben und vor den Herausforderungen stehen, die du vorhin beschrieben hast?

Ich würde mit dem letzten Absatz aus Kapitel 7.4 antworten wollen.

Abschließend lässt sich sagen, dass die Adaptiven Services eine wichtige Grundlage für die Diskussion über die IT-Business-Integration bieten. Aus Erfahrung kennen wir viele Organisationen, die den Wert ihrer IT immer noch in einer unterstützenden Funktion sehen, die Anforderungen umsetzt und ansonsten ein Kostenfaktor ist. Adaptive Methoden sind eine gute Möglichkeit, z. B. durch die Kooperation mit Vertretern des Managements in cross-funktionalen Teams, hier langsam ein verändertes Bewusstsein zu schaffen. Deshalb gilt auch hier: Mit einer kleinen, wertvollen Alternative beginnen, um die Zusammenarbeit zu fördern. Nicht mit Theorie oder Referenzen von Marktbegleitern überzeugen. Lernen durch Machen ist erfolgreicher und nachhaltiger. In diesem Sinne hoffen wir, dass auch Sie mit adaptiven Services auf eine spannende Entdeckungsreise gehen. Wir sind gespannt auf Ihre Erkenntnisse und Geschichten und wünschen viel Erfolg!

Vielen Dank für das Gespräch, Gerhard.

Mehr zum Buch

Das Buch „Adaptive IT-Service-Ausschreibung: Der Weg zu agilem und effektiverem IT-(Out-)Sourcing“ von Gerhard Köhler, Werner Roth und Achim Schmidtmann ist am 21. September 2024 erschienen und im Buchhandel erhältlich.

Über Gerhard Köhler

Gerhard Köhler ist Principal Consultant IT-Service-Management bei Fujitsu Technology Solutions GmbH mit jahrzehntelanger Erfahrung in den Bereichen Outsourcing und Outtasking auf Seiten des abgebenden Kunden, auf der des aufnehmenden Providers, sowie aus der Sicht eines von Outsourcing betroffenen Mitarbeiters. Er erarbeitete als Pre-Sales Specialist Lösungen und Angebote im Bereich Managed Workplace für seine Kunden und setzte diese als Transition Manager auch um. Als Service Delivery Manager verantwortete er den Betrieb von Managed Services in komplexen und internationalen Projekten bei seinen Kunden, um als Consultant im privaten und öffentlichen Bereich sowie bei Sektoren-Auftraggebern, seine Kunden bei Ausschreibungen, von der Erstellung über die Veröffentlichung bis zur Umsetzung zu begleiten.

Kontakt: gerhard.koehler@gerhard-koehler.de | Gerhard Köhler bei LinkedIn