Seit einiger Zeit scheint es ja die ausgemachte Meinung zahlreicher Meinungsbildner in der IT zu sein, dass sich alleine schon aus Klimaschonungs- und Energieeinsparungsgründen langfristig unvermeidlich ist, Rechenzentren (RZ) in Weltgegenden zu errichten, die entweder sehr kalt sind oder Energie im Überfluss haben. Außerdem soll die unvermeidliche Konsolidierungen von RZ-Anbietern und Betreibern diese Zentralisierung an geeigneten Standorten zusätzlich beschleunigen.
Nun mag der Gedanke, dass Lappen, Samen oder gar Eskimos, die die technische vor-Ort-Administration erledigen, weniger befremdlich sein, als das Wissen um das Abhören der Kommunikation durch die vielbeachtete NSA. Dennoch dürfte beides nicht der Grund sein, warum ich nicht glaube, dass dies durchgängig geschehen wird – wenngleich sicherlich einige solche Rechenzentren bereits existieren oder künftig existieren werden. Facebook hat ja bekanntlich seit Sommer 2013 ein Rechenzentrum in Luleå/Nord-Schweden.
RZ-Betrieb und IT-Dienstleistung sind zwei verschiedene Dinge
Natürlich sind RZ-Standort(e) und Standort(e) des IT-Dienstleisters schon lange nicht mehr zwingend identisch und die Aufrechterhaltung des technischen Betriebs erfordert vor Ort meist nur noch eine sehr kleine Mannschaft. Fast alles lässt sich längst „remote“ managen oder durch entsprechende technische Lösungen realisieren.
Wesentlich interessanter als die Lokalität des RZ ist aber zunächst die Frage, welche Veränderungen diese organisatorisch meist längst realisierte Entkopplung von RZ und Serviceerbringung im IT-Outsourcing-Markt bringen könnte. Standards, wie sie beispielsweise aus dem IaaS-Modell kommen, schaffen ja eine zumindest brauchbare Grundlage, Rechenzentrum und Rechenzentrumsbetrieb auf der einen Seite und Serviceerbringung auf der anderen Seite zu entkoppeln. Und damit der IT-Outsourcingmarkt nicht bald in sich erstarrt, da die zunehmend aufwändiger werdenden Transitionsprojekte einen Providerwechsel immer komplexer machen (z.B. komplexe verteilte Prozesse u. Schnittstellen, große Datenmengen – Big Data lässt grüßen), wäre dies ja ein zusätzlicher Vorteil einer Entkopplung. Die Daten bleiben gemäß Stromprinzip einfach wo sie sind, wenn man den Stromanbieter wechselt, wird man deshalb ja auch nicht unbedingt an ein neues Kraftwerk angeschlossen.
Muss man wirklich immer die Daten physisch migrieren?
Ein Wechsel des RZ macht meist auch wenig Sinn, sehr wohl kann aber ein Wechsel des IT-Outsourcing-Partners vorteilhaft sein, liegen doch mögliche Qualitätsverbesserungen und Optimierungspotentiale ohnehin eher im prozessualen Teil. Heute erfordert das aber praktisch immer auch den Wechsel des RZ und der damit unvermeidlich verbundenen Migration der Daten usw.. Daher glaube ich, dass wir in näherer und mittlerer Zukunft diese Quasi-Liberalisierung sehen werden und sich RZ-Betreiber und IT-Dienstleister voneinander emanzipieren werden. Stellen sie doch real zwei unterschiedliche Geschäftsmodelle mit unterschiedlichen Herausforderungen und Lösungen dar.
Hat irgendjemand davon etwas?
Was hat der Kunde von einer Entkopplung? Mehr Auswahl, mehr Möglichkeiten des Wechsels und damit die Realisierung des alten Versprechens von verbrauchsabhängiger Bezahlung und kurzen Vertragslaufzeiten.
Was bedeutet das für einen IT-Serviceprovider? Er könnte sich z.B. auf Branchen spezialisieren, um deutlich näher am Kunden und dessen Geschäftsprozessen zu sein und dadurch trotz potentiell geringerer Kundenbindung nicht austauschbar werden. Die Diskussion der CIO-Rolle als „Business-Enabler“ kann so die logische Entsprechung bei eben „seinem“ Dienstleister finden. Der IT-Dienstleister übernimmt dabei die Verantwortung für den geregelten Betrieb gemäß vereinbarter Servicelevel, kennt die Prozesse des Kunden, stellt das kritische Know-How bereit und steuert alle notwendigen weiteren Leistungserbringer. Er ist also nicht nur Dienstleister und Service-Broker, sondern ständiger Partner des CIO auf Augenhöhe.
Was könnte das für einen RZ-Betreiber und die prognostizierten zentralen Rechenzentren an den „Polkappen“ bedeuten? Auch hier hilft vielleicht ein Blick zur Seite auf den Energiemarkt. Statt gigantischen Solarfarmen in „Wüstenregionen“ oder zentralen Großkraftwerken wie jahrelang propagiert, scheint der Trend ja eher in Richtung Dezentralisierung bzw. lokale Lösungen zu gehen. Zahlreiche Großkraftwerke egal welcher Technologie sind in Deutschland real von Abschaltung bedroht. Das Thema ist sicherlich noch in Bewegung, wenn aber die Energieerzeugung sich wieder eher dezentralisiert, würde sich auch das Nordpol-Thema eher relativieren. Darüber hinaus dürfte der Wettbewerb gerade bei einer Entkopplung deutlich flexiblere lokale Betreiber hervorbringen.
Das waren jetzt alles mittel- und langfristige mögliche Entwicklungen, aber was heißt das jetzt?
Als Outsourcing-Kunde sollte man verstärkt das Augenmerk auf die integrativen Fähigkeiten des IT-Dienstleisters richten. Kann er unterschiedliche Dienstleister integrieren, steuern und so eine hochwertige „Service-Governance“ leisten? Versteht er auch Ihr Geschäft und unterstützt Sie dabei proaktiv? Und genau da setzt auch der Wahrnehmungswandel ein: Fordern Sie genau das ein und betrachten und nutzen Sie Ihren IT-Outsourcing-Dienstleister nicht nur als RZ-Betreiber, sondern als Partner und Integrator!