Wo viele Menschen aufeinander treffen und dasselbe wollen, müssen wir uns zwangsläufig anstellen: an der Kasse, an einer öffentlichen Toilette oder beim Check-In am Flughafen. Was uns in Deutschland eher nervt, hat in Japan Tradition: Schlange stehen. Laut unserer Kollegin stellen sich Japaner scheinbar gerne an – auch vor dem Restaurant, auf dem Bahnsteig oder an der Bushaltestelle. Für ein Jahr tauscht Susann ihren Schreibtisch am Fujitsu Standort München gegen ein Großraumbüro im Shiodome City Center und sich in einer Warteschlange einzureihen, gehört in Japan mehrmals am Tag dazu.
Noch bevor Susann ihren Arbeitsplatz erreicht, muss sie sich bereits auf dem Bahnsteig anstellen. Gedrängel kommt auch während der Rushhour nicht auf, obwohl zu Stoßzeiten in der Bahn kein Blatt Papier mehr zwischen die Passagiere passt. Markierungen zeigen, wie die Wartenden zu stehen haben und auf welcher Höhe des stehenden Zuges sich die Türen befinden. Im Shiodome City Center angekommen, muss sich Susann erneut einer Warteschlange anschließen. Um ihren Platz im 31. Stock zu erreichen, braucht unsere Kollegin ganz bestimmte Aufzüge, die morgens lediglich die Stockwerke 28 bis 32 anfahren.
Um exakt 8.20 Uhr fangen wir an zu arbeiten, weshalb sich bereits zwanzig Minuten vorher die Eingangshalle des Gebäudes mit einer Schlange aus „Businessman“ und „Businesswoman“ füllt, die alle in diese Aufzüge wollen. Anfangs dachte ich noch, dass es sich hierbei um eine Schlange aufgrund der Rushhour handelt – das ist im Allgemeinen auch so. Jedoch stellte ich nach und nach fest, dass sich Japaner immer gerne in einer Reihe anstellen.
Essen, um die Zeit bis zum Essen zu überbrücken
Gelegenheiten dazu bieten sich ständig. Nicht nur an Toiletten im Einkaufszentrum, sondern auch vor Restaurants, Verkaufsständen und Bushaltestellen. Sich vor einem Restaurant für ein Abendessen anzustellen, erscheint uns aus deutscher Sicht mehr als ungewöhnlich. Möchten wir essen gehen, reservieren wir rechtzeitig einen Tisch. Für einen Restaurantbesuch in Tokyo stellt man sich eben rechtzeitig an.
Da sich alle so gerne anstellen, gibt es überall vorbereitete Pfeile, Schilder oder Absperrbänder, die genau anzeigen, wie man sich anzustellen hat. Die meisten Cafés oder Restaurants nehmen keine Reservierungen an, sodass bei den beliebten Lokalen automatisch eine Schlange entsteht. An den Bahnstationen gibt es Hinweise, wo man sich hinstellt, damit die Fahrgäste erst aussteigen können – das Ganze ist mit entsprechenden Pfeilen gekennzeichnet. Selbst im Disneyland stehen etwa 20 Familien als erstes für ein Foto von und mit Mickey an.
Beim Warten zeigen die Japaner eine bemerkenswerte Geduld, erzählt Susann, die sich vor allem von einem japanischen Pärchen beeindruckt zeigt, welches sich im Gegensatz dazu von der Wartezeit völlig unbeeindruckt blieb.
An einem Restaurant standen so viele Leute an, dass es einen Mitarbeiter gab, der ein Schild mit der Wartezeit von zwei Stunden hielt – und das lange nicht am Ende der Schlange. Dort stand ein Pärchen und aß Pommes „to go“. Es war nachmittags um zwei Uhr und sie stellten sich für ein Dinner am Abend an. Wer so lange auf sein Essen warten muss, kann schon einmal in der Warteschlange einen kleinen Snack zu sich nehmen.
Mehr Erfahrungen von Susann finden Sie unter dem Schlagwort „Reisetagebuch Japan“. Wir freuen uns jetzt schon auf den nächsten Bericht aus der japanischen Hauptstadt und wissen nun eins: Neben einer Menge Mut gehört auch Geduld in das Reisegepäck.