Dr. Markus Kaulartz, Rechtsanwalt bei der internationalen Wirtschaftskanzlei CMS Hasche Sigle, und Asim Soysal, Strategic IT Consultant bei Fujitsu, im Gespräch über Blockchain, die nächste digitale Revolution, disruptive Kräfte und neue Möglichkeiten – und den Mut zum Wandel.
Dr. Markus Kaulartz arbeitet als Rechtsanwalt bei CMS Hasche Sigle (CMS) und ist spezialisiert auf IT-Recht, Datenschutz und Legal Tech. Als ehemaliger Softwareentwickler verbindet er technisches und juristisches Know-how. Seine Schwerpunkte liegen auf Rechtsfragen von Zukunftstechnologien und neuen Geschäftsmodellen, etwa in den Bereichen künstliche Intelligenz (AI), Industrie 4.0, FinTech, Internet of Things und Big Data. CMS betreut mit mehr als 4.500 Anwälten und Steuerberatern weltweit Unternehmen zu den Fragen des nationalen und internationalen Wirtschaftsrechtes; alleine in Deutschland sind 600 Mitarbeiter beschäftigt.
M. Asim Soysal war seit 1995 in mehreren international tätigen IT-Unternehmensberatungen in Deutschland, Österreich und Großbritannien als Geschäftsführer und Vorstand beschäftigt. Seit 2016 zeichnet er sich nun in der Unternehmenseinheit Strategic IT Consulting bei Fujitsu für die Weiterentwicklung und Adressierung der Themen Digitalisierung, Distributed Ledger Technology (Blockchain), Industrie 4.0, IoT, sowie Big Data & Analytics, schwerpunktmäßig für die Finanzdienstleistungs- und FinTech-Branche, in Central Europe verantwortlich. Darüber hinaus ist er seit 2017 Vorstandssprecher des Regionalvorstandes des European Finance Forums.
Gemeinsam erklären Dr. Markus Kaulartz und Asim Soysal im Interview, welche Chancen und Herausforderungen der Distributed-Ledger-Technologien (DLT; auch Blockchain-Technologien genannt) innewohnen: ein aufschlussreiches Gespräch über Blockchain, Kryptowährungen und Initial Coin Offering, über Regeln, Rahmenbedingungen und die Märkte der Zukunft.
Wie wird die Distributed-Ledger-Technologie die Wirtschaftswelt und Unternehmen verändern? Hat sie das Potenzial zur Disruption?
Dr. Markus Kaulartz: Die Blockchain-Technologien ermöglichen etwas bislang völlig Unbekanntes: das Verschieben von digitalen Vermögenswerten. Wer heute eine Datei versendet, führt im Kern einen Kopiervorgang durch. Der Empfänger der Datei weiß nicht, ob der Absender die Datei weiterhin besitzt, jedenfalls aber sind beide Datenmengen unabhängig voneinander. DLT lässt die Vorteile von physischen Gegenständen, u. a. die Einzigartigkeit, mit den Vorteilen des Virtuellen, z. B. jederzeitige Erreichbarkeit und Flexibilität, verschmelzen. Dies revolutioniert die Übertragung von Rechten und anderen Vermögenswerten – und leitet den Übergang vom „Internet of Information“ zum „Internet of Values“ ein. Zum Wegfall der Intermediäre kommt die so genannte Tokenization.
Asim Soysal: Erst einmal ist es entscheidend zu verstehen, was diese Technologie für das eigene Geschäftsmodell bedeutet – und welche Konsequenzen man daraus ziehen muss. Inwieweit werden die eigenen Wertschöpfungsketten betroffen sein und welche Auswirkungen wird das auf meine zukünftige Wettbewerbssituation haben? In den vergangenen Jahren hat die Plattform-Ökonomie etablierten Geschäftsmodellen zugesetzt – auf ähnliche Weise wird das zukünftig durch diese neue dezentrale Technologie passieren. Der Unterschied aber wird sein, dass die Plattform-Ökonomie, im Gegensatz zur Blockchain-Technologie, nicht disruptiv ist bzw. war.
Ein Beispiel der Plattform-Ökonomie ist Airbnb. Das Unternehmen ist der größte Zimmervermieter, ohne ein Zimmer zu besitzen. Es hat zwar das klassische Hotelgeschäft nicht disruptiert, aber die Wertschöpfungsketten massiv verschoben und die Schnittstelle zwischen Anbieter und Endkunden besetzt. Airbnb ist in diesem Modell ein klassischer Intermediär, Plattformbetreiber oder virtueller Marktplatz, je nachdem, wie man es bezeichnen mag. Das geistige Eigentum und das Knowhow liegt nicht in den Händen der Intermediäre, noch nicht einmal das unternehmerische Risiko für dieses Segment. Aber der Intermediär bestimmt, wer wann, wo und zu welchem Preis das Geschäft macht. Das hängt auch ganz maßgeblich davon ab, welcher Lieferant die höchsten Margen für den Plattformbetreiber bereithält, denn nur er hat den direkten Kontakt und die Kenntnis, d. h. Daten über den Kunden.
Mit der Blockchain-Technologie kann ich etablierte Intermediäre aus meinem Geschäftsmodell streichen. Die Technologie bietet mir Sicherheit und das Vertrauen, das ich für mein Geschäft immer benötigt habe und das mir in der Vergangenheit durch die klassischen Intermediäre für teures Geld zur Verfügung gestellt wurde – z. B. von Banken, Notaren, Maklern, GEMA, Check24, Uber und natürlich auch Airbnb. DAS ist echte Disruption, denn hier werden Marktteilnehmer verschwinden!
Wenn man das Verständnis für diese Technologie aufgebaut hat und weiß, wo man ansetzen muss, geht es in die operative Umsetzung. Wie kann man die Blockchain-Technologie in sein etabliertes Geschäftsmodell integrieren? Hier gilt der Spruch: „Nicht die Großen fressen die Kleinen, sondern die Schnellen fressen die Langsamen.“ Die Notwendigkeit, schnell und adäquat auf geänderte Marktgegebenheiten zu reagieren, ist größer denn je. Time-to-Market wird zur Schlüsselkompetenz über alle Branchen hinweg; der Zugang zu den richtigen Fachkompetenzen wird zu einer echten Herausforderung – Stichwort: War of Talents. Die größte Challenge für etablierte Unternehmen wird aber nicht in der Bewältigung der Technologie liegen, sondern darin, den Wandel der Unternehmenskultur und die Anpassung an die neuen Herausforderungen voranzutreiben. Wie weit sind die „Willingness to Change“ und „Ability to Change“ im eigenen Unternehmen ausgeprägt? Das muss man wissen. Oder um es mit Peter F. Druckers Worten zu sagen: „Culture eats strategy for breakfast!“
Wie werden die Kryptowährungen unser Geschäftsleben verändern – und wieso ist davon noch nichts zu sehen, von Bitcoin einmal abgesehen? Gibt es im Design einen Unterschied zwischen Cryptocurrencies von privaten Unternehmen und der öffentlichen Hand, z. B. von Zentralbanken?
Dr. Markus Kaulartz: Dass Kryptowährungen wie Bitcoin nicht von Zentralbanken kontrolliert werden, ist einer der Gründe für ihre extreme Volatilität und damit dafür, dass sie zwar als Spekulationsobjekt taugen mögen, nicht aber als Zahlungsmittel. Vor diesem Hintergrund ist der Begriff Kryptowährung leider vollkommen missverständlich. Wir dürfen aber davon überzeugt sein, dass Zentralbanken Tokens künftig einsetzen werden, um mit ihnen ihre eigenen Währungen technisch abzubilden. In Schweden ist das schon geschehen. Auch hier gilt: Die Blockchain-Technologien sind zuvorderst neue Technologien.
Asim Soysal: Die Cryptocurrencies sind sehr wohl sichtbar. So ist Bitcoin z. B. als offizielles Zahlungsmittel in Japan zugelassen. Auch in Zug, in der Schweiz, kann man schon seine Steuern damit zahlen. Allerdings ist auch aus regulatorischen Gründen in der EU die Bitcoin – ebenso wie andere nichtstaatliche Initiativen – nicht als offizielles Zahlungsmittel zugelassen.
Die virtuellen Währungen erfüllen oftmals die grundlegenden gesetzlichen Anforderungen nicht, z. B. Know your Customer (KYC) oder AML/CFT (Geldwäsche, Antiterrorfinanzierung). Darüber hinaus wird das Fiat-Geld – also die Währung eines Landes, ein offizielles Zahlungsmittel wie beispielsweise Euro oder US-Dollar – üblicherweise von den Zentralbanken herausgegeben und verbrieft einen Wert.
Es macht einen sehr großen Unterschied, ob eine Zentralbank eine Cryptocurrency ausgibt, also z. B. einen Crypto-Euro analog zum Fiat-Euro, oder eine private Initiative eine Cryprocurrency designt. Die private Initiative gibt in der Regel ein so genanntes White Paper heraus, aus dem sich das Geschäftsmodell ableiten und der Sinn und Zweck herauslesen lassen. Eine Zentralbank möchte vielleicht nur die Kosten des Gelddrucks und der Münzprägung einsparen und den Geldfälschern und dem Schwarzgeldmarkt die Grundlage entziehen. Die Motivationslage ist zwar nachvollziehbar, geht aber mit der völligen Aufgabe der Privatsphäre aller einher, die mit virtuellen Währungen hantieren.
Was genau ist ein Initial Coin Offering (ICO) – was kann man damit machen und was steckt dahinter? Könnte diese Finanzierungsmethode herkömmliche Finanzierungsmöglichkeiten ablösen?
Dr. Markus Kaulartz: Wir sehen gerade einen starken Umschwung zu den sogenannten Security Tokens. Das wird Unternehmen nächstes Jahr noch viel mehr beschäftigen. Security Tokens verkörpern tatsächlich Dividendenansprüche oder Unternehmensanteile. Hält man sich an bestimmte Schwellenwerte oder spricht nur bestimmte Investoren an, sind die regulatorischen Hürden auch sehr gering. Der Vorteil von Security Tokens ist sicherlich, dass sie recht einfach ausgegeben werden können. Sie ließen sich sogar an den Umsatz eines konkreten Projekts knüpfen, automatisieren die Auszahlung und führen dank Smart Contract sogar noch Buch. Die Transaktionskosten sinken bei Security Tokens massiv, bisher fehlt nur eine gewisse Standardisierung und natürlich eine Verwaltungs- und Rechtspraxis.
Asim Soysal: Ein ICO ist vergleichbar mit dem Börsengang eines Unternehmens, das zu Finanzierungszwecken Aktien herausgibt – mit dem Unterschied, dass nicht Aktien, sondern Tokens oder Coins erworben werden können. Der ICO ähnelt einer herkömmlichen Crowdfunding-Initiative. Allerdings verbriefen diese Tokens typischerweise nicht die einfache Funktion eines Unternehmensanteils, sondern einen digitalen Anteil an einem Projekt. Das können Stimmrechte, Coupons, Gewinnbeteiligungen, Unternehmens- oder Projektanteile, Lizenzen oder ähnliche Dinge sein, die für den Herausgeber oder den Käufern einen Wert darstellen.
Ob ein ICO den gleichen strengen Reglementierungen und der Aufsicht durch Regulierungsbehörden unterliegt wie ein Initial Public Offering (IPO), also ein Börsengang, hängt ganz maßgeblich von der rechtlichen Ausgestaltung des ICO ab. Ein juristisches Gutachten im Vorfeld erstellen zu lassen, bewahrt den oder die Herausgeber vor unschönen Überraschungen im Nachgang.
Initial Coin Offering scheint sich als Alternative zu herkömmlichen Crowdfunding-Initiativen zu etablieren. Dabei können große Geldmengen akquiriert werden. Hohe dreistellige Millionenbeträge sind nicht mehr die Ausnahme. Es sind schon Geldmittel von bis zu vier Milliarden US-Dollar angeworben worden (BlockOne, EOS). Dies stellt etablierte Unternehmen vor neue Herausforderungen, da Start-ups, die so massiv finanziert sind, eine reale Bedrohung bedeuten, und zwar über alle Branchen hinweg. Da kann man auch fragen: Wer braucht noch eine Bank?
Welche Regeln muss ich beachten, wenn ich mich dieser neuen Technologie annähern möchte? Gibt es unterschiedliche Herangehensweisen für Anbieter, Intermediäre und Konsumenten?
Dr. Markus Kaulartz: Was die Regulierung und den gesetzlichen Rahmen anbelangt, ist festzuhalten, dass sich Innovationen schon immer im Grenzbereich des Rechts abgespielt haben. Dies ist bei Blockchains und anderen Distributed-Ledger-Technologien nicht anders. Wichtig ist aber zu verstehen, dass der Grenzbereich kein Graubereich ist. Entgegen einer verbreiteten Meinung insbesondere in der Tech-Szene benötigen wir nicht für jede Innovation neue Gesetze und sind wir auch nicht in unregulierten Bereichen unterwegs, solange es solche Gesetze nicht gibt. Der Gesetzgeber hat hierzulande schon immer einen technologieneutralen Ansatz verfolgt, was sich in zwei Aspekten zeigt: Zum einen wird typischerweise nie die Technologie selbst reguliert, sondern ihre Auswirkung – die Regulierung verfolgt also konkrete Schutzziele. Zum anderen nutzt der Gesetzgeber unbestimmte Rechtsbegriffe, die eine zeitgemäße Auslegung ermöglichen. So verwundert es auch nicht, dass z. B. das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) fast 120 Jahre alt ist und die Paragrafen darin praktisch nie aufgrund neuer Technologien geändert wurden – mit Ausnahme eben solcher Regelungen, die etwa dem Verbraucherschutz dienen.
Asim Soysal: Solange der Markt keine Standards auf den Weg bringt und es noch keine Verwaltungs- und Rechtspraxis gibt, wird es schwierig sein, die Blockchain-Technologie in etablierten Unternehmen zu platzieren. Hier kommen einfache ökonomische Erwägungen ins Spiel. Wenn das Entscheidungsgremium nicht gewährleisten kann, dass die Investition in eine neue Technologie ein Mindestmaß an Investitionsschutz genießt, wird sich das Gremium schwertun, hohe Investitionen zu tätigen. Das ist einer der Gründe, weswegen etablierte Unternehmen derzeit nur in überschaubaren Größen in Proofs of Concept (PoCs) und Pilotprojekte investieren. Ich rechne damit, dass der Blockchain-Markt rasant zulegen wird, sobald Rechts- und Investitionssicherheit hergestellt sind.
Wohin geht die Reise – technologisch, regulatorisch, ökonomisch und soziologisch?
Dr. Markus Kaulartz: Wir werden in Zukunft mehr sehen im Bereich der Tokenisierung. Tokens werden als virtuelle Gegenstände zunehmend an Bedeutung gewinnen, da sie sehr sicher übertragen werden können und in ihnen wahnsinnig großes Potenzial schlummert. Wer sie als neue „Asset-Klasse“ bezeichnet, meint im Kern damit, dass sie eine Art neues Medium sind, in welchem wir Rechte verkörpern können. Hat man früher zum Beispiel Aktien in Papierform übertragen und zwischenzeitlich eine Depotbank nur deswegen benötigt, weil die digitale Form nicht einzigartig war, so haben wir nun mit den Tokens einen Weg gefunden, beide Welten zu vereinen: Tokens haben die Funktion einer virtuellen Urkunde – den Intermediär in der Mitte benötigen wir gar nicht mehr, so wie wir ihn früher in Zeiten der Papieraktien auch nicht benötigt haben.
Asim Soysal: Die Technologie wird kommen – und zwar mit aller Wucht. Viele der heute noch etablierten Markteilnehmer werden durch diese disruptive Technologie verschwinden, wie vor Jahren z. B. Kodak (Digitalfotografie) oder Nokia (Smartphone).
Meine Empfehlung: „Sei vorbereitet!“ Für den, der sich erst noch in Position bringen muss, wenn sich die Technologie bereits durchgesetzt hat, dürfte es dann zu spät sein. An der Strategie muss heute schon gearbeitet werden. Und natürlich müssen neben der Blockchain-Technologie zeitgleich auch weitere Digitalisierungsthemen angegangen werden, z. B. Big Data/Analytics oder Künstliche Intelligenz (KI), um nur zwei zu nennen. Doch die technologische Umsetzung ist nicht die Herausforderung: Es wird in erster Linie eine unternehmenskulturelle Herausforderung sein, sich mit den richtigen Menschen den Anforderungen zu stellen.