Smart Cities und Regions werden ein immer wichtigeres Thema in Deutschland. Im September letzten Jahres wurde Berlin im Rahmen der zweiten Förderstaffel des Programms „Modellprojekte Smart City“ durch das Bundesministerium für Inneres für eine Förderung ausgewählt. Doch was bedeutet das genau und welche Auswirkungen haben smarte Städte und Regionen auf das Leben der Bürger*innen und den Klimawandel? Darüber sprachen wir mit Stefanie Horn, Smart City und Mobilitäts-Expertin bei Fujitsu.
Stefanie, Deine Schwerpunkte sind intermodale Mobilität, Quantum Inspired Optimization Services (QIOS) bzw. der Digital Annealer – eine Brückentechnologie zum Quantencomputing – sowie Innovationsmanagement. Was macht für Dich eine smarte Stadt / Region konkret aus?
Gemeinwohl und Klimaschutz sind der Kern: Eine smarte Stadt / Region richtet sich flexibel an den unterschiedlichen Bedarfen der Menschen aus und macht den Kampf gegen den Klimawandel zur Priorität. Neue Technologien wie künstliche Intelligenz, das Internet of Things oder Quantencomputing helfen, diese Ziele zu erreichen. Das meinen wir bei Fujitsu mit „Human Centricity“. Zudem sind urbane Zentren mit Randbezirken und dem ländlichen Raum vernetzt und werden gemeinsam betrachtet.
Welche Rolle spielen dabei neue Arbeitsweisen und das Thema Kulturwandel?
Smarte Städte brauchen Mut und Schnelligkeit. Es darf nicht Jahre dauern, bis wichtige Maßnahmen – beispielsweise bei der Mobilität – umgesetzt sind. Durch langwierige Ausschreibungsprozesse verlieren wir wichtige Zeit. Smarte Städte bauen daher Bürokratie ab, schaffen schnellere und agilere Entscheidungsprozesse und geben Raum zum Experimentieren – hier geht es auch viel um „New Work“. Co-creation und das partizipative Arbeiten mit Prototypen sind zentral. Also weg vom Silo-Denken und hin zur sektorübergreifenden Kollaboration mit flachen Hierarchien. Diese Kollaboration sollte auf allen Ebenen und zwischen verschiedensten Akteur*innen stattfinden. So schauen wir über den eigenen Tellerrand, lernen voneinander und schaffen skalierbare Lösungen. Damit das Wirklichkeit wird, braucht es sowohl eine Veränderung in den Köpfen als auch mutige Entscheidungsträger*innen, die einfach mal machen.
Welche Bedeutung haben die Bürgerinnen und Bürger in einer smarten Stadt?
Die Zivilgesellschaft einzubeziehen, ist wichtig – eine smarte Stadt / Region hat smarte Bürger*innen. Sie wird von allen Teilen der Gesellschaft mitgestaltet und setzt auf soziale Gerechtigkeit und Inklusion – hier spielen die Prinzipien „Diversity by Design“ und „Inclusion by Design“ eine zentrale Rolle. Um Vertrauen und Akzeptanz beispielsweise für neue Mobilitätskonzepte und Technologien zu erzeugen, brauchen wir analoge und digitale Partizipationsprozesse („Blended Participation“), die barrierefrei sind. Und wir sollten neue Angebote erlebbar machen und den Leuten die Chance geben, zum Beispiel autonome Shuttle-Services einfach mal auszuprobieren. Nur so können wir uns die Schmerzpunkte und Bedarfe verschiedener gesellschaftlicher Gruppen bewusstmachen. Gerade beim Thema Mobilität wünsche ich mir, dass weibliche Perspektiven aus verschiedenen Lebenslagen mehr einbezogen werden und Frauen zu gleichen Teilen wie Männer Entscheidungen treffen.
Fallen Dir zum Thema Partizipation konkrete Umsetzungsprojekte aus Berlin ein?
Besonders gut gefallen mir die Plattform „Gieß den Kiez„, zur Bewässerung von Trockenheit bedrohter Bäume, und das Projekt „Kiez erFahren“ in Schöneberg, welches zum Ausprobieren intermodaler und umweltfreundliche Mobilität einlädt.
Helfen mehr Daten bei der (Weiter-)Entwicklung zu einer smarten Stadt?
Im Zuge der Digitalisierung nehmen Daten bei der Weiterentwicklung smarter Städte einen mindestens genauso hohen Stellenwert ein wie etwa die Partizipation – wir bei Fujitsu sind „purpose-driven“ und „data-driven“. Die große Herausforderung für Smart Cities / Regions besteht darin, dass fast täglich neue Datenquellen hinzukommen, etwa Verkehrsdaten, Daten vom ÖPNV, Sharing-Dienstleistungen wie Fahrräder, eScooter oder eAutos, smarten Ampeln, Haltestellen, Baustellen, Unfalldaten, Parkplatz-, Wetter-und Luftqualitäts-Sensoren und vielem mehr. Diese Daten sollten konsolidiert, nahe Echtzeit analysiert und für die Verbesserung der Lebensverhältnisse nutzbar gemacht werden. Da landen wir schnell im Terabyte-Bereich und an den Grenzen herkömmlicher Technologien. Es geht auch um „Data Literacy„; das heißt, wir sollten mehr Menschen befähigen, datengetriebene Entscheidungen zu treffen, innerhalb der Verwaltung und auch innerhalb der Bevölkerung. Auch beim Thema Daten sollten wir raus aus den Silos. Selbstverständlich ist dabei der Schutz personenbezogener Daten und die DSGVO enorm wichtig.
Was bietet Fujitsu zum Thema Smart City an?
Bei uns gibt es keine fertigen Lösungen von der Stange – beim Thema Smart City / Region entwickeln wir in Co-creation gemeinsam mit unseren Kunden und Partnern passgenaue Konzepte und Lösungen – das ist unser Consulting-Ansatz. Dazu nutzen wir gerne unser Digital Transformation Center und eigene Workshopformate aus Japan.
Mit der Fujitsu Ideen und Innovations-Plattform bieten wir barrierefreie Partizipation für Bürger*innen an sowie die Begleitung von Innovations-Prozessen innerhalb der Verwaltung. Unser Tool ist DSGVO-konform, hat eine ausgezeichnete Usability und fördert die Kreativität.
Mit QIOS bzw. dem Digital Annealer stellen wir schon heute eine Brückentechnologie zum Quantencomputing zur Verfügung. Diese kommt bei komplexen Optimierungsproblemen zum Einsatz – beispielsweise beim intermodalen Routing nahe Echtzeit, in der Logistik oder beim Thema dynamischen Ampelschaltung.
Mit Manage Now for Data Analytics leisten wir einen Beitrag zum Thema Data Literacy. Dabei werden komplexe Daten-Analysen in leicht verständliche Dashboards übersetzt und ermöglichen datengetriebenen Entscheidungen und zielgerichtete Optimierungsmaßnahmen. Ob zum Thema Verkehrsplanung, bedarfsgerechte Abfallentsorgung oder beim Gebäudemanagement.
Nicht zu vergessen: unser Basistechnologieangebot – dieses reicht von Servern, Storage, Cloud-Lösungen bis hin zu Smarten Arbeitsplätzen.
Kannst Du das Thema Daten am Beispiel intermodale Mobilität verdeutlichen?
Gerade hier braucht es viele Daten, die aufeinander bezogen werden, um den Bürger*innen ein positives Reiseerlebnis zu ermöglichen – beispielsweise das Verkehrsaufkommen, Notdiensteinsätze, die Standorte und Verfügbarkeit verschiedener Shared-Mobility-Angebote oder besonders auch aktuell im Zusammenhang mit COVID-19 die Auslastung öffentlicher Verkehrsmittel. Komplexe Wegeketten – beispielsweise auf dem Weg zur Arbeit mit einem Stopp in der Kita und beim Supermarkt – brauchen intermodale Routen, die dynamisch anhand aktueller Umstände optimiert werden. Die „Signalstörung“ auf dem Berliner S-Bahn Ring sollte kein Showstopper sein. Klassische Routing-Algorithmen sind für diese Aufgaben oft nicht performant genug. Nur wenn wir umweltfreundliche Mobilität bequem, verlässlich, flexibel und sicher machen, nehmen die Menschen diese auch als Alternative zum eigenen Auto an.
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Wie gestaltet sich intermodale Mobilität in Berlin?
Berlin ist eine vielseitige Stadt und die Bürger*innen haben ganz unterschiedliche Vorstellungen. Wenn man etwa Berliner Hipster in Neukölln Anfang 20 mit einer Familie am Stadtrand vergleicht, wird schnell deutlich, dass die Bedarfe sich stark unterscheiden. Für manche Lebenslagen ist ein Leben ohne eigenes Auto deutlich einfacher zu realisieren als für andere.
Als Basis für intermodale Mobilität ist verlässliche und sichere Technologie unabdingbar. Die Verfügbarkeit von Mobilität ist ein weiterer Erfolgsfaktor. Während es im Stadtzentrum an manchen Stellen schon fast ein Überangebot an Mobilität gibt und es zu Rebound-Effekten kommt, sieht es im Randbezirk oft ganz anders aus. Shared Mobility ist in den Randbezirken bisher wenig ausgebaut, sodass für viele Haushalte eigene Autos momentan noch alternativlos erscheinen. Bedarfsgerechte Mobilität auch für Pendler*innen und Mobilitätsstationen mit Park & Ride-Optionen am Stadtrand sind wichtig. Das Auto gilt zudem nach wie vor als Statussymbol. Damit sich das ändert, braucht es einen Wandel der Einstellungen, da kann Technologie allein nicht helfen.
In Berlin gibt es bereits einige zukunftsweisende Initiativen, wie die Siemensstadt 2.0, den EUREF-Campus, das Tegel-Projekt, das MotionLab Berlin oder das CityLab. Auch die BVG fördert die lebenswerte und nachhaltige Zukunft der Stadt, indem sie Jelbi-Mobilitätsstationen in Berlin sichtbar aufstellt. Bereits 2019 war Berlin im nationalen Vergleich auf Platz 4 des Bitkom Smart City Index zu verorten. Im internationalen Smart City Index der IMD Business School belegte Berlin 2020 zwar nur Platz 38, ist damit aber immerhin neben Hamburg und München eine der drei smartesten deutschen Städte. In jedem Fall gibt es noch viel zu tun – vor allem im Bereich Mobilität.
Was hat es mit dem Wettbewerb „Modellprojekte Smart Cities“ des BMI auf sich?
Mit der Listung als Modellprojekt Smart City durch das BMI soll die Digitalisierung im Sinne einer integrierten und nachhaltigen Stadtentwicklung vorangetrieben werden. Zu den Softwarelösungen, die im Rahmen des Projekts entwickelt werden, gibt es einen verpflichtenden Erfahrungsaustausch, damit andere Städte und Kommunen ebenfalls von ihnen profitieren können. Berlin konnte unter anderem mit laufenden Initiativen wie dem CityLab und mit Jelbi überzeugen. Die Stadt will mit den Fördermitteln Projekte unter anderem zu den Themen Daten in Alltag und Krise, Smarte Stellplätze, Data Governance, Smarte Partizipation sowie Smart Water umsetzen. Außerdem möchte Berlin eine zeitgemäße Smart City-Strategie auf den Weg bringen, die sich am Gemeinwohl orientiert. Open Source und Partizipation sind dabei wichtige Handlungsmaxime. Der Förderzuschlag bringt sicherlich mehr Schwung in das Thema Smart City und fördert sektorübergreifende Zusammenarbeit.
Wie sieht Mobilität in einer Smart City / Region im Jahr 2030 im Idealfall für Dich aus?
Meine Vision: Im Jahr 2030 ist Mobilität nicht nur klimaneutral, sondern auch bequem, flexibel und barrierefrei für alle zugänglich – sie ist keine Zumutung, sondern macht Spaß und ist sozial gerecht. Lebenswerte und begrünte Orte zum Verweilen dominieren das Stadtbild – wir atmen saubere Luft und die Natur ist gut erreichbar. Wir verbringen mehr Zeit mit Freunden und Familie auf einer Picknickdecke im Park und weniger in irgendwelchen vollen Verkehrsmitteln oder im Stau. Im Idealfall wird auf das eigene Auto nur in Ausnahmefällen zurückgegriffen, da der Mobilitätsbedarf der Bevölkerung durch smarte und inklusive Stadtplanung gedeckt ist. Die Tatsache, dass ich aus Prinzip kein eigenes Auto habe, ist kein Nachteil. Es ist möglich, vom Stadtrand auf begrünten Wegen ins Stadtzentrum zu radeln oder sich einen Shuttle-Service zu rufen – die urbanen Zentren sind also gut mit den Randbezirken und dem ländlichen Raum verbunden. Und es ist auch kein Nachteil, mit einem Kinderwagen oder Rollstuhl unterwegs zu sein, da unser Lebensraum für alle zugänglich ist. Das Auto als Statussymbol hat ausgedient und die Menschen setzen gerne auf Shared-Mobility. Das alles funktioniert allerdings nur, wenn wir Mobilität durch Technologie verlässlich, sicher und individuell planbar machen.
Das mag aktuell noch utopisch klingen, aber in Anbetracht des Klimawandels sind solche Veränderungen tatsächlich lebensnotwendig für uns alle.
Also – lassen Sie uns Mut fassen und es angehen! Wir laden Sie herzlich ein, mit uns nachhaltige und am Gemeinwohl orientierte Smart City & Region-Konzepte zu entwickeln! Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit Ihnen – denn die aktuellen Herausforderungen können wir nur gemeinsam meistern.
Vielen Dank für das Interview, Stefanie.
Kontaktieren Sie Stefanie Horn, Smart City und Mobilitäts-Expertin bei Fujitsu unter Stefanie.horn@fujitsu.com oder bei LinkedIn.
Sabine Schultz ist Marketing Manager bei Fujitsu. Die Entwicklung der Städte und Regionen und die Zukunft der Schulen sind die Themen, die sie besonders interessieren. Welche innovativen Technologien und Konzepte tragen dazu bei, die Lebensräume für alle Bürger*innen lebenswerter, nachhaltiger, sauberer und sicherer zu machen? Wie verändert sich das Lehren und Lernen? Eine wichtige Rolle spielen hierbei ganzheitliche Lösungsansätze, die einen digital unterstützten Unterricht zeit- und ortsunabhängig ermöglichen.