Warum die Lebensmittelindustrie auf Dauer ohne die Informationstechnologie nicht auskommt
Dr. Joseph Reger,
CTO bei Fujitsu Technology Solutions
„Wer dieser Tage die Schlagzeilen verfolgt, dem bleibt wortwörtlich der Bissen im Halse stecken. Das heißt: Falls er Eier, Hühner- oder Schweinefleisch verzehrt. Der neuerliche Dioxin-Skandal zieht immer weitere Kreise. Und wieder einmal streiten sich Experten, Verbraucherschützer, Politik und Lebensmittelindustrie, wie eine solche Misere hätte verhindert werden können: durch strengere Richtlinien und schärfere Kontrollen bei der Herstellung von Futtermitteln – oder auch einfach nur durch eine andere ethische Haltung zum Thema Natur, Nahrung und den Gewinnen, die sich daraus erzielen lassen. Allerorten ertönt nun der Ruf nach einer nachhaltigeren Landwirtschaft – nicht nur im Hinblick auf Futtermittel.
Hier tut sich für die moderne Gesellschaft allerdings ein Dilemma auf: Knapp sieben Milliarden Menschen gilt es im Augenblick auf der Welt zu ernähren. Nach Schätzungen des statistischen Bundesamtes wird diese Zahl bis 2050 auf mehr als neun Milliarden anwachsen. Und: In den westlichen Industrienationen sind die Ansprüche an den Speisezettel – etwa was die Menge des Fleischkonsums betrifft – immer weiter gestiegen. Die Lebensmittelindustrie deckt den Bedarf seit Jahren mit Massenproduktion zu immer günstigeren Preisen. Dass schwarze Schafe versuchen, mit unlauteren Methoden ihre Margen zu verbessern, sind Auswüchse eines Marktes, in dem ethisches Verhalten gegenüber Tier, Mensch und Natur zu Lasten der Gewinnmaximierung auf der Strecke bleibt.
Nicht erst seit dem aktuellen Skandal regt sich daher – zumindest in den westlichen Gesellschaften – auf breiter Front Widerstand gegen diese fortschreitende Industrialisierung unserer Ernährung. Das Angebot an Lösungsszenarien variiert: Schärfere Gesetze verlangen die einen. Eine umsichtigere Landwirtschaftspolitik, die anderen. Und die Fraktion der Agrar-Romantiker fordert die Rückkehr zu selbst gezogenem Gemüse und der glücklichen Kuh auf der Weide. Bio- und Nachhaltigkeitsbewegung, einst exotische Randerscheinung, sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
Zwar sind die Vorzüge des Öko-Landbaus unbestritten. Doch trotz immer mehr Bio-Ware im Discounter steht diese Art der Landwirtschaft für einen einkalkulierten Effizienzverlust und folglich höhere Lebensmittelpreise. Vernünftiges Essen aber darf nicht zum Luxus werden, den sich nur Besserverdiener leisten können.
Die Lösungsansätze müssen also weiter reichen. Hier kommt die Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) ins Spiel. Schon heute gibt es vielversprechende Konzepte, wie IKT-gestützte Verfahren die Nahrungsmittelproduktion sicherer, effizienter und nachvollziehbarer machen können.
Nehmen wir das Beispiel der Agrar-Lösung von Fujitsu, die in Japan in ersten Feldversuchen getestet wird: Dort setzen Landwirte auf ihren Feldern in bestimmten Abständen kleine Kontrollstationen in die Erde. Mit Hilfe von Sensoren messen diese Parameter wie Feuchtigkeits- und Nährstoffgehalt des Ackers, Boden- und Lufttemperatur. Gleichzeitig dokumentieren kleine Kameras in den Kontrollstationen das Wachstum und den Zustand der Pflanzen. Der Landwirt erfasst und protokolliert dabei mit minimalem Aufwand all seine Tätigkeiten sowie alle verwendeten Dünge- und Pflegemittel. Alle erhobenen Daten werden über ein intelligentes Netzwerk in eine Datenbank eingespeist, auf die ein Farm-Management-System aufsetzt. Der Bauer kann auf diesem Wege kontrollieren, wie sich seine Saat entwickelt, er erhält Düngeanweisungen und Pflegeempfehlungen, und er weiß, wann der beste Zeitpunkt für die Ernte ist.
Eine Informatiker-Ausbildung braucht der Landwirt dafür nicht. Ebenso wenig wird er seine Arbeit künftig ausschließlich per Mausklick erledigen können. Was ihm jedoch gelingen kann, ist eine Steigerung des Ertrags – mit weit weniger Einsatz von Dünger oder Pestiziden als im konventionellen Landbau. Und sein landwirtschaftlicher Betrieb bleibt rentabel: Durch die Möglichkeiten von Cloud Computing braucht er nicht in eine eigene physische IKT-Infrastruktur zu investieren. Der Vorteil für den Konsumenten liegt ebenfalls auf der Hand: Es kann mehr, aber gleichzeitig in guter Qualität, produziert werden. Lebensmittel bleiben auf breiter Ebene verfügbar, zu einem marktgerechten Preis. Und der Anreiz für Lebensmittelkriminalität würde – womöglich – sinken: alleine schon dank einer schnellen Nachvollziehbarkeit des gesamten Produktionsprozesses über die Datenbanken.
Das klingt nach Technologiehörigkeit und blindem Fortschrittsoptimismus? Ich meine nicht. Den Dioxin-Skandal hätten IKT-Lösungen nicht verhindern können. Wir werden auch nicht über Nacht die Agrarwirtschaft revolutionieren. Doch ich wünsche mir, dass wir anfangen in Optionen zu denken – jenseits ausgetretener Pfade. Technologie und Nachhaltigkeit sind dabei keine Kontrahenten. Im Gegenteil: Die neue Nachhaltigkeit ist im erheblichen Maße digital.“
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