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Ein Blogbeitrag von Marco Becker, Senior Consultant, IDC.

In einer vor kurzem durchgeführten Studie hat IDC die Umsetzung von Industrial IoT (IIoT) in deutschen industriellen und industrienahen Unternehmen untersucht. Ein grundsätzliches Ergebnis: Unternehmen beschäftigen sich zunehmend mit den Mehrwerten von IIoT und setzen Initiativen um. Besonders Edge Computing wird aktuell intensiv diskutiert und von Unternehmen erkundet, denn seine technischen Eigenschaften eröffnen eine Reihe neuer Anwendungsmöglichkeiten.

Edge Computing erweitert die IoT-Landschaft und löst Probleme der Zentralität

Von Edge Computing profitieren insbesondere Anwendungsszenarien, die entweder sehr schnelle Verarbeitungszeiten benötigen, sehr hohe Datenvolumen erzeugen – oder eben beides. Mit zentralen Ansätzen lassen sich solche Use Cases nur schwer oder gar nicht umsetzen. Die Dauer des Versands würde die schnellen Verarbeitungszeiten im Rechenzentrum oder der Cloud zunichtemachen oder die Massen an Daten würden die Netzwerke verstopfen. Diese Probleme werden bei einem zentralen Ansatz nur minimiert. Mit modernen Netzwerktechnologien ist das bis zu einem hohen Grad auch bereits möglich, dann aber mitunter aufwändig und teuer. Und auch hier ist letztendlich spätestens bei der Lichtgeschwindigkeit die natürliche Grenze gesetzt.

Hinzu kommen Zeitverluste beim Switching und Routing sowie mögliche Wartezeiten, wenn andere Workloads mit höherer Priorität zuerst verarbeitet werden. Für viele Anwendungen ist das bereits viel zu langsam. Deswegen werden beim Edge-Computing-Konzept weitere Verarbeitungsgeräte zwischen dem eigentlichen vernetzten Objekt und dem zentralen Rechenzentrum platziert. Damit können Workloads je nach Anforderung und Ziel entweder näher am Endgerät oder näher am Data Center platziert werden. Das eröffnet eine große Zahl neuer Optionen und Möglichkeiten.

Edge Computing ist „ein echter Bremser“ – im positiven Sinne

Das aktuell wohl bekannteste Problem für Echtzeitlösungen ist das autonome Fahren. Aber auch in anderen industriellen Bereichen sind Echtzeitanalysen mittlerweile eine Notwendigkeit. Industrieroboter – zum Beispiel moderne Roboterarme – die in der Produktion Einzelteile zusammensetzen, bewegen sich mit rund zwei Metern pro Sekunde. Je nach Größe und Beschleunigung ist hier ein Ausweichen für einen Menschen genauso unmöglich wie einem Auto auszuweichen, das bei 20 km/h nur noch zwei Meter entfernt ist. Auch der Industrieroboter muss also mögliche Störungen um sich herum wahrnehmen und diese schnell genug verarbeiten, um in Bruchteilen einer Sekunde reagieren, bremsen und stoppen zu können.

Menschen unterstützten statt ersetzen: wo es Sinn macht oder sogar geboten ist

Eine andere Anwendungsmöglichkeit ist es, Dinge sichtbar zu machen, die für das menschliche Auge nicht sichtbar sind. Hierbei helfen beispielsweise optische Prüf- und Erkennungssysteme, die mit unterschiedlichen Spektren arbeiten. Diese greifen nicht nur auf das vom menschlichen Auge wahrnehmbare Farbspektrum zurück, sondern auch auf Wärme-, Röntgen-, Ultraschallstrahlung oder andere Strahlungsspektren. Dadurch können diese Systeme Leistungen erbringen, die einem Menschen biologisch nicht möglich sind. Dabei geht es allerdings nicht unbedingt darum, Mitarbeiter*innen zu ersetzen. Vielmehr soll es die Möglichkeit schaffen, das fehlerhafte Produkt überhaupt zu erkennen und noch weiter zu verbessern, anstatt ein fehlerhaftes Produkt abzuliefern, das möglicherweise ökonomische Schäden oder Verletzungen bei Menschen hervorrufen kann.

In manchen Fällen kann die Unterstützung sogar helfen, Mitarbeiter*innen zu schützen. Während der COVID-19-Pandemie konnten beispielsweise Roboter dabei assistieren, Tests zu verarbeiten, um Labormitarbeiter*innen vor dem Erreger zu schützen. In anderen Fällen ermöglicht Edge Computing die Fernsteuerung von Arbeiten, die für die Mitarbeiter*innen unangenehm, auf Dauer gesundheitsschädlich oder gar lebensgefährlich sein können. Beispiele hierfür sind Überkopfarbeiten im Baugewerbe oder das Steuern von Baumaschinen wie Bagger an schwer zugänglichen Stellen.

Edge Computing hilft bei der effizienten Verteilung von Intelligenz in der IoT-Landschaft

Den meisten dieser anspruchsvollen Edge-Anwendungsszenarien ist gemein, dass sie Intelligenz erfordern. Die Prüf- und Erkennungssysteme aus dem Bereich Computer Vision / Machine Vision müssen zum Beispiel selbstständig Anomalien auf den Werkstücken erkennen und entscheiden, ob es sich um einen Fehler handelt. Falls ja, gilt es zu entscheiden, ob der Fehler schwerwiegend ist und von den Mitarbeiter*innen geprüft werden muss. Dieser „Smart Quality Inspection“ genannte Use Case muss aber erst einmal implementiert werden. Die Hauptaufgabe übernimmt ein intelligenter KI / ML-Algorithmus, der zunächst aufwendig trainiert werden muss. Das erfordert große Rechen- und Speicherkapazitäten, die am Edge meist nicht bereitgestellt werden können.

Der am Ende fertig trainierte Algorithmus kann aber mit entsprechend performanten Edge-Systemen an den Maschinen oder – unter Umständen – sogar am Edge bereitgestellt werden. Wie beim autonomen Fahren müssen nämlich auch in diesem Anwendungsszenario die Berechnungen häufig möglichst schnell durchgeführt werden. Fließbänder zum Beispiel, auf denen sich die Werkstücke befinden, bewegen sich oft mit einer Geschwindigkeit von mehreren Metern pro Sekunde. Dabei befördern sie je nach produziertem Gut viele hunderte kleine Werkstücke gleichzeitig. Die KI muss einen Defekt also schnell erkennen, verarbeiten und häufig schon mehrere Meter weiter einen Aussortierungsmechanismus aktivieren.

Schnelle technologische Entwicklungen beschleunigen die Adaption weiter

Sowohl Edge Computing als auch KI / ML werden immer stärkeren Einzug in das Internet of Things finden. Bereits jetzt setzen 42 Prozent der von IDC befragten industriellen Unternehmen Edge Computing in IoT-Projekten oder -Pilotprojekten ein, knapp die Hälfte nutzt oder testet KI / ML in IoT-Initiativen. Diese Entwicklung wird durch moderne Prozessoren und GPUs mit hoher Rechenperformance ermöglicht und weiter beschleunigt, vor allem wenn diese direkt in den Anlagen oder deren unmittelbarer Umgebung platziert werden. Dadurch ist die Ausführung von KI / ML-Algorithmen dann nicht nur am Edge möglich. Dank softwaredefinierter Infrastrukturen oder – zukünftig immer häufiger – Containern ist auch die Grundlage für den Aufbau hybrider Cloud-Umgebungen gegeben.

Der Aufbau einer funktionierenden Hybrid Cloud ist zunächst mit Aufwand verbunden. Er erlaubt es bei richtiger Umsetzung aber, dass IoT-Cloud-Dienste relativ mühelos in der IoT-Umgebung ausgerollt und bei Bedarf flexibel zwischen Edge-Geräten, Core Datacentern und Clouds verschoben werden können. Diese Flexibilität kann dabei helfen, jederzeit die geeignetste Cloud-Core-Edge-Balance zu erreichen. So können – in Abhängigkeit von den einzelnen IoT Use Cases und der IoT-Umgebung – insgesamt Performance und Kosten optimiert werden.

Abbildung: Zukünftig hauptsächlicher Verarbeitungsort von operativen Betriebsdaten in KI/ML-Algorithmen

Ausblick: Das Internet of Things wird zum „Artificial Internet of Things“

Jedes zehnte der befragten Unternehmen plant deswegen, seine Betriebsdaten – also die Daten, die Fertigungsanlagen, Werkzeuge oder Fahrzeuge generieren – zukünftig hauptsächlich direkt am Edge verarbeiten zu wollen. Knapp die Hälfte will sie direkt am Standort und damit ebenfalls in der Nähe zu den Maschinen verarbeiten. Einige weitere wollen flexibel bleiben. Sie verteilen die KI / ML-Datenverarbeitung auf Cloud, Core und Edge, je nachdem wo der effizienteste Verarbeitungsort ist – beispielsweise für das Training oder für die Ausführung. Die Umsetzung einer solch flexiblen Umgebung ist allerdings kompliziert und herausfordernd. Sie setzt breites Wissen über Cloud-Technologien, KI / ML und Datenanalysen sowie Netzwerk- Storage- und Computing-Technologien voraus. Interessierte sollten sich daher vorab intensiv mit IIoT, Edge Computing und KI / ML auseinandersetzen, um Business Cases und die eigenen Kompetenzen zu evaluieren.

Das Internet of Things wird sich perspektivisch aber in jedem Fall mit der Zeit immer stärker zu einem „Artifical Internet of Things“ (AIoT) weiterentwickeln. Dieses ermöglicht sowohl dezentrale Entscheidungen in den Geräten als auch weiterhin unternehmensweite Entscheidungen im zentralen Rechenzentrum. So werden Unternehmen zukünftig noch intelligenter und agiler.

Möchten Sie mehr erfahren? Dann finden Sie hier eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der Studie. (Link leider nicht mehr verfügbar)


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