Der Fujitsu Mobility Digital Twin: potenzielle Unfälle erkennen, bevor sie passieren

Moderne Fahrzeuge sind mit einer großen Zahl an Sensoren ausgestattet. Sie erfassen kontinuierlich Daten: Regnet es? Gibt es ein Hindernis, vor dem gebremst werden müsste? Wo gibt es hier eine freie Parklücke? Wie oft bremsen Fahrer*innen, wie schnell fahren sie – oder stehen sie vielleicht längere Zeit mit laufendem Motor auf der Stelle, gibt es einen Stau?

Oft genug werden diese Daten vom Fahrzeug nur einmal genutzt und dann nie wieder: zum Beispiel, um die Scheibenwischer bei Tropfen auf der Scheibe zu aktivieren, um im Notfall zu bremsen oder um selbstständig einzuparken. Gibt es nicht eine sinnvollere Verwendung für diese großen Mengen an wertvollen Daten? Ja, die gibt es: mit dem Fujitsu Mobility Digital Twin.

Aber was ist der Mobility Digital Twin, was kann er und für wen eignet er sich? Wir haben mit Sascha Westermann, Business Development Manager, über genau diese Fragen gesprochen.

Hallo Sascha. Zu Beginn gleich eine kleine Herausforderung: Fasse in einem einzigen Satz zusammen, was der Fujitsu Mobility Digital Twin ist.

Oha, das ist nicht ganz einfach. Das Thema ist wirklich vielfältig. Lass es mich so versuchen: Der Mobility Digital Twin ist die digitale Abbildung (eines Teils) der Mobilitätswelt, in die wir in Echtzeit reale Daten aus Fahrzeugen und deren Umgebung bringen können, um sie dort zu analysieren und auf ihrer Basis Vorhersagen zu treffen.

Welche Daten sind das genau?

In erster Linie sind es solche, die direkt aus den Fahrzeugen bzw. den dort verbauten Sensoren stammen. Sie liefern zahlreiche Informationen zum Fahrzeug selbst, zum Beispiel zur Geschwindigkeit oder Bremstätigkeit. Weitere Daten kommen aus dem Regensensor, durch den Aussagen über das Wetter getroffen werden können.

Dazu kommen Daten, die das Fahrzeug permanent in seinem direkten Umfeld erfasst – zum Beispiel zu potentiellen Gefahren. Es kann sein, dass der / die Fahrer*in davon gar nichts mitbekommen; dann hat sich die gefährliche Situation aufgelöst, bevor eine Aktion oder ein Alarm ausgelöst werden musste. Aber die Erfassung beschränkt sich nicht auf Gefahrenquellen, sondern beinhaltet auch Verkehrszeichen (Stichwort: Schilderkataster), freie Parkplätze, Ampeln und ähnliches.

Außerdem werden Daten in den Mobility Digital Twin eingespeist, die von der Infrastruktur selbst kommen. Diese Daten stammen aus Sensoren in Induktionsschleifen, Kameras oder den Ampeln selbst bzw. dem Verkehrsrechner, der diese steuert. Beispiele wären die Verkehrsdichte, Geschwindigkeiten, Grünzeiten der Ampeln, Parkraumbelegung etc.

Was passiert dann im Digital Twin mit all diesen Daten?

Im Digital Twin kommen alle Daten zusammen. Man erstellt ein 3D-Modell, in dem man sukzessive die Echtzeitdaten abbildet. Dabei lässt sich ein wirklich großer Bereich darstellen – bis zu 10 Millionen Fahrzeuge gleichzeitig.

Durch das Zusammenspiel der Daten ergibt sich so ein genaues Bild der realen Situation. Auf dieser Basis kann man im Nachhinein Situationen darstellen lassen und analysieren, warum etwas passiert ist. Aber man kann nicht nur in die Vergangenheit blicken. Es lassen sich auch Prognosen treffen, zum Beispiel, wo Gefahrensituationen entstehen können. Dabei kann man an einzelnen Parametern drehen, um verschiedene Szenarien zu testen und so zu sehen, was wann passiert. Mit dem Wissen kann man dann dafür sorgen, dass Dinge besser laufen.

Davon können beispielsweise Städte profitieren. Bisher schauen sie vorwiegend, wo bereits viele Unfälle passiert sind und beseitigen dann diese Gefahrenstellen. Durch einen digitalen Zwilling lernen sie aber auch die Hot Spots kennen, an denen die Fahrzeuge in Alarmbereitschaft gehen, ohne dass es dann zu einem Unfall gekommen ist. So können sie Gefahrenstellen angehen, bevor überhaupt jemand zu Schaden gekommen ist.

Ist der Mobility Digital Twin dann quasi eine Simulation?

Nicht ganz. Generell sind diese beiden Dinge eng miteinander verbunden. Aber ein Digital Twin kann weitaus mehr leisten.

Zum einen erhält er Daten in Echtzeit, in Simulationen hingegen werden historische Daten eingespeist. Der Digital Twin ist mit der realen Welt verbunden, jeder Punkt dort ist ein Sensor in der realen Welt. So kommen ständig aktuelle Informationen hinzu und man muss nicht mit einer Momentaufnahme arbeiten.

Zum anderen funktioniert die Kommunikation auch in die Gegenrichtung – der Digital Twin gibt Daten an das reale Objekt zurück, mit dem er vernetzt ist. Man hat also eine permanente Feedback-Schleife. Bei einer Simulation ist das nicht möglich.

Wie kann man sich das mit dem Daten zurückgeben vorstellen. Schlägt dann zum Beispiel das Navi eine ganz individuelle Route vor?

So ähnlich. Informationen an den / die Fahrer*in zu geben ist eine Möglichkeit. Die andere ist es, sie direkt an das Fahrzeug zu senden und es damit zur Sicherheit des Fahrer bzw. der Fahrerin zu beeinflussen. Im Zwilling könnte zum Beispiel beobachtet und prognostiziert werden, dass an einer unübersichtlichen Stelle in wenigen Sekunden eine Gefahrensituation entstehen wird. Etwa, weil sich ein*e Radfahrer*in mit hoher Geschwindigkeit nähert. Das Fahrzeug kann dann automatisch abbremsen, ehe es zu einer gefährlichen Situation kommt.

Ganz wichtig bei alledem ist das stetige Lernen. Was passiert aktuell? Welche Folgen hatte die Handlung? Was lief nicht gut und was hat vielleicht sogar zu einem Unfall geführt? Die Modelle, die Simulationen und vor allem die ergriffenen Maßnahmen werden ständig durch neue Daten optimiert.

Lässt sich der Mobility Digital Twin dann auch für das autonome Fahren einsetzen?

Genau da führt die Entwicklung hin. Damit sich die Insassen wirklich um nichts mehr kümmern müssen, ist der Digital Twin essentiell. Mit seiner Unterstützung kann das Fahrzeug sicher geführt werden.

Schon heute können Fahrzeuge eine ganze Menge selbstständig: Hindernisse erkennen, bei Gefahr bremsen, ohne Hilfe von dem / der Fahrer*in einparken und vieles mehr. Durch den Digital Twin und das damit erfasste weiträumigere Umfeld ist es dann aber auch möglich, „um die Ecke zu schauen“. So können Fahrzeug und ggf. auch Fahrer*in über Dinge informiert werden, die keiner von beiden selbst hat erfassen können. Dadurch lassen sich viele Gefahrensituationen vermeiden.

Der Digital Twin ist aber auch schon bei der Einführung des automatisierten (um nicht zu sagen: autonomen) Fahrens hilfreich. Hier kann eine genaue Analyse erfolgen, wie sich ein Testfahrzeug in der realen Welt verhält und wie es mit den verschiedenen Situationen des wahren Lebens zurechtkommt.

Bei diesen ganzen Analysen und Prognosen – kommt da auch Künstliche Intelligenz ins Spiel?

Ja, auf jeden Fall. Künstliche Intelligenz wird ja überall wichtiger – und so auch hier. Sie nimmt einem viel Arbeit ab, vor allem in der Analyse der Daten und dem Abwägen von Situationen. Wenn sie gut trainiert ist, kann sie das oft viel zuverlässiger und schneller als der Mensch. Künstliche Intelligenz kann ebenfalls Statistiken erstellen bzw. deren Anfertigung vereinfachen.

Was würdest du sagen: Für wen eignet sich der Mobility Digital Twin?

Oh, der Mobility Digital Twin ist sehr, sehr vielfältig einsetzbar. Wie schon erwähnt, können ihn zum Beispiel Städte einsetzen, um potentielle Gefahrenstellen zu identifizieren und durch Anpassungen Unfälle zu vermeiden. Er eignet sich aber auch für eine ganze Reihe anderer Anwender:

  • Städteplaner, die innerstädtische Infrastrukturen transformieren wollen.
  • Versicherungen, die im Schadensfall Unfälle besser und schneller analysieren und damit ihren Kund*innen schnellere und effizientere Services anbieten können.
  • Betreiber von dynamischen Informations-Services wie Routingsystemen oder Navis. Sie können mit dem Digital Twin Verkehrssituationen wie Reisezeiten, Staus oder gar Stauenden hinter Kurven in Echtzeit darstellen. Außerdem können sie Trends oder Angebote wie Restaurants oder Tankstellen in der Nähe auf einer Karte darstellen, komplett mit den aktuellen Preisen.
  • Transportunternehmen, die ihre Routen optimieren oder diese aufgrund von aktuellen oder prognostizierten Störfällen anpassen.
  • Betreiber von Containerterminals oder Flughäfen, auf denen sich viele Fahrzeuge bewegen, die auch zunehmend automatisiert sind.

Generell lassen sich durch die Visualisierung einer Vielfalt unterschiedlichster Daten neue Informationen und Services kreieren, an die wir heute vielleicht noch gar nicht denken. Wir können neue Lösungen in der digitalen Welt erproben und so ausarbeiten, dass sie auch in der realen Welt den erhofften Mehrwert bringen. Damit lässt sich viel Zeit, Entwicklungsarbeit und Geld sparen.

Zum Schluss: Wie würdest du kurz und knapp beschreiben, was der Mobility Digital Twin leisten kann?

Eine Menge! Sein Leistungsspektrum ist wirklich vielfältig. Er kann große Datenmengen dynamisch verarbeiten; die Ergebnisse sind dann in Echtzeit nutzbar. Er ermöglicht es außerdem, Variationen und Änderungen in einer geschützten Umgebung zu testen. Würden wir das bei unserer komplexen und fragilen Mobilität immer direkt in der Realität tun, könnte das schwerwiegende Folgen haben: Staus, unzuverlässige Verkehrsmittel, vielleicht sogar Unfälle. Und zu guter Letzt kann er zu mehr Nachhaltigkeit beitragen, indem Fahrzeuge ressourcenschonender fahren können – zum Beispiel durch vorausschauendes Beschleunigen oder Bremsen und eine optimierte Routenwahl. Dadurch lassen sich viele Staus vermeiden.

Vielen Dank für die spannenden Einblicke, Sascha!

Möchten Sie mehr zum Fujitsu Mobility Digital Twin erfahren? In unserem Video haben wir die wichtigsten Informationen zusammengefasst.

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