Quantum Inspired Computing: Warum Quantencomputing jetzt startet

Quantencomputing gehört zu den Innovationen, die Unternehmen helfen, sich im weltweiten Wettbewerb zu behaupten. Es verspricht Probleme zu lösen, an denen bislang selbst die leistungsstärksten Supercomputer scheiterten. Doch trotz aller bisher erzielten Erfolge und Fortschritte wird es noch dauern, bis Quantencomputer den klassischen Architekturen in industrierelevanten Anwendungsszenarien überlegen sind.

Vielleicht stellen Sie sich vor diesem Hintergrund wie viele andere eine wichtige Frage: Wann ist dann der richtige Zeitpunkt, um sich mit Quantencomputing zu beschäftigen? Die Antwort ist einfach: jetzt! Das gilt vor allem für Problemstellungen im Bereich der Optimierung.

Warum Quantencomputing?

Die Vorteile von Quantencomputing werden deutlich, wenn man seine grundlegende Funktionsweise versteht. Aktuelle Rechnerarchitekturen basieren auf den Gesetzen der klassischen Physik. Fließt Strom, wird ein Bit auf den Wert „1“ gesetzt. Fließt kein Strom, behält es den Wert „0“.

Quantencomputer hingegen basieren auf quantenmechanischen Phänomenen:

  • Superposition: Ein Quanten-Bit (Qubit) kann gleichzeitig alle Werte zwischen „0“ und „1“ annehmen.
  • Verschränkung: Sind zwei Qubits miteinander verschränkt, so bestimmt der gemessene Wert des einen unmittelbar den Wert des anderen.
  • Tunneleffekt: Ein Teilchen kann eine Energiebarriere überwinden (durchtunneln), auch wenn seine Energie geringer ist als die „Höhe“ der Energiebarriere.

Durch diese Eigenschaften können Quantencomputer bestimmte Problemstellungen deutlich effizienter lösen als klassische Architekturen. Analoges gilt für andere Quantentechnologien wie Quantensensorik und Quantenkommunikation. Aus diesem Grund investieren Unternehmen und Regierungen weltweit signifikante Summen, um im zukunftsrelevanten Markt der Quantentechnologie führende Rollen einzunehmen. Allein in der Europäischen Union sind für Quantentechnologie Fördergelder in Höhe von 8,4 Milliarden Euro vorgesehen.

Öffentliche Förderung für QuantentechnologieÖffentliche Förderung für Quantentechnologie. McKinsey&Company „Quantum Technology Monitor“ April 2023. Quelle: quantum-technology-monitor-april-2023.pdf (mckinsey.com)

Chancen – und Herausforderungen

Quantencomputing bringt jedoch auch einige Herausforderungen mit sich, welche die konkrete Umsetzung erschweren. Für den Betrieb ist eine extreme Kühlung notwendig, die fast bis zum absoluten Nullpunkt (-273,15 Grad Celsius) reicht. Außerdem muss das System gegen externe Einflüsse abgeschirmt sein, um die Superposition und die Verschränkung aufrecht zu erhalten. Auch die Skalierung auf eine signifikante Anzahl an Qubits ist problematisch. Von einem universellen Quantencomputer sind wir damit alles in allem noch Jahre entfernt.

Auch müssen bestehende Algorithmen und Anwendungen neu gedacht werden. So lässt sich in klassischen IT-Systemen ein Zwischenergebnis beliebig oft auslesen. Bei Quantencomputern kann hingegen jeder externe Einfluss die Superposition zerstören – und damit das Ergebnis. Heute existierende Programme lassen sich nicht einfach 1:1 auf Quantencomputer übertragen.

Wie können wir uns dem Quantencomputing annähern?

Wenn wir diese Herausforderungen und den zu bewältigenden Weg betrachten – wie können wir dann bereits heute an das Thema Quantencomputing herangehen oder gar Vorteile daraus ziehen?

Für die meisten potenziellen Entscheider*innen und Endanwender*innen werden konkrete Fragen zum praktischen Einsatz im Vordergrund stehen. Die technologischen Spezifika einzelner Quantencomputer-Ansätze wie Trapped Ion oder Superconducting sind für sie sicherlich interessant, aber nicht entscheidend. Viel relevanter sind Fragen wie:

  • Welche Business-Probleme kann ich damit (besser) angehen?
  • Was bedeutet das für meine Branche?
  • Welche Implikationen gibt es für meine Businessprozesse?
  • Wann bringt mir Quantencomputing einen wirklichen Mehrwert?
  • Wie gelingt mir ein zuverlässiger Investitionsschutz?

Ein besonders interessanter Einsatzbereich für Quantencomputing sind Optimierungsprobleme wie die Planung von Routen, Termin- und Arbeitseinsatzplanung oder auch die Portfolio-Optimierung. Rund zwei Drittel aller Szenarien, welche die QUTAC – Quantum Technology and Application Consortia führender Wirtschaftsunternehmen in Deutschland – betrachtet, sind in diesem Umfeld angesiedelt.

Die Vorteile von Quantum (Inspired) Computing erschließen.

Die Vorteile von Quantum (Inspired) Computing erschließen.

Echtzeit- und Lösungsqualitäts-Szenarien

Dabei geht es in diesen Anwendungsfällen selten um das globale Optimum, also die Erreichung des bestmöglichen Wertes. Vielmehr gibt es drei Arten von Szenarien, die im Vergleich Vorteile bringen.

Variante 1: Echtzeit-Szenarien

Gesucht wird ein Optimum ähnlicher Güte, aber in einer deutlich kürzeren Berechnungszeit.

Beispiel: Die Berechnungsdauer für die Verteilung von Aufträgen auf die einzelnen Maschinen in einer Fabrikation soll reduziert werden. Der aktuelle Stand sind mehrere Stunden, das Ziel wenige Minuten. Dabei soll die Auslastung der Maschinen gleich oder besser sein.

Möglicher Mehrwert: Durch die Echtzeitfähigkeit können kurzfristig eingehende, wichtige Aufträge unmittelbar umgesetzt werden.

Variante 2: Lösungsqualitäts-Szenarien

Das Ziel ist es, in einer ähnlichen Berechnungszeit ein besseres Optimum zu finden.

Beispiel: Im zuvor erwähnten Fabrikations-Szenario ist die zur Auftragsverteilung benötigte Rechenzeit ausreichend. Doch die Auslastung der Maschinen soll von 90 auf 95 Prozent erhöht werden. Das soll gelingen, ohne die Berechnungszeit zu erhöhen.

Möglicher Mehrwert: Die Reduktion der Kosten durch eine höhere Auslastung der Maschinen.

Variante 3: Disruptive Szenarien

Für diese finden die heutigen Ansätze keine zufriedenstellende Lösung.

Wie geht es nun weiter?

Aktuell befinden wir uns in einem Dilemma. Zum einen sind Optimierungsprobleme existent und von hoher Relevanz. Zum anderen wird Quantencomputing solche Probleme wohl erst in einigen Jahren lösen können. Was können wir bis dahin also tun?

Hier kommt Quantum Inspired Computing als zukunftsgerichteter Ansatz ins Spiel. Entsprechende Lösungen wie der Fujitsu Digital Annealer sind zwar keine richtigen Quantencomputer. Sie verwenden aber Berechnungsansätze, die von den Prinzipien der Quantenmechnik inspiriert sind und setzen sie auf State-of-the-Art-Technologien um. So entfallen Einschränkungen wie die extreme Kühlung, es ist aber trotzdem schon jetzt möglich, industrierelevante Problemstellungen zu lösen. Die hierfür erstellten Anwendungen können später auch einfach auf zukünftige Quantencomputer-Systeme übertragen werden.

Los geht‘s: Fujitsu und SAP

Im Rahmen unserer Partnerschaft mit SAP arbeiten wir daran, diese Innovation voranzutreiben. Die Lösungen von SAP werden in vielen Branchen eingesetzt, unter anderem in der Logistik, der Fertigung und dem Handel. Die Unternehmen automatisieren und verschlanken damit ihre unternehmenskritischen Businessprozesse.

Gemeinsam mit SAP haben wir 2023 damit begonnen, sowohl Integrations-Szenarien als auch Prototypen für Optimierungen auf Basis des Digital Annealer zu testen und zu entwickeln. Dazu haben wir in einem Co-Creation-Ansatz einen Proof-of-Concept (PoC) für Integrations- und Benchmark-Aktivitäten durchgeführt. An diesem Projekt waren Spezialist*innen aus beiden Firmen beteiligt.

Deutlich bessere Resultate durch den Digital Annealer

Insgesamt wurden zehn unterschiedliche Optimierungsprobleme ausgewertet, welche der Quadratic Programming Library (QPLIB) entnommen wurden. Diese Library stellt eine Reihe von Benchmark-Problemen zur Verfügung, mit denen die Effizienz und die Effektivität verschiedener Lösungsverfahren und Algorithmen verglichen werden kann. Solch ein standardisierter Satz von Testproblemen macht es einfacher, die Leistung eines Optimierungsverfahrens objektiv zu bewerten – zum Beispiel von Echtzeit- oder Lösungsqualität-Szenarien. Dazu wird sowohl die Laufzeit als auch die relative Qualität der Lösung des Digital Annealer mit den jeweiligen Ergebnissen eines kommerziellen, auf dem neusten Stand der Technik befindlichen Solvers verglichen.

Vergleich Digital Annaler vs. Linear Solver Der Vergleich zeigt auf, wann ein kommerzieller Linear Solver die gleiche Lösungsqualität erzielt, die Digital Annealer mit einer Berechnungszeit von zwei Sekunden erreicht:

  • Mit Ausnahme des ersten Tests ist Digital Annealer zwischen 1,2- und 23-mal schneller
  • Die gepunkteten Balken der Tests 3642, 3693 und 3850 stellen dar, dass der Linear Solver die Lösungsqualität von Digital Annealer auch mit einer Berechnungsdauer von 2000 Sekunden nicht erreichen konnte

Die Ergebnisse sprechen für sich. Einzig für den Fall QPLIB_3380 konnte der Digital Annealer nicht die Lösungsqualität des Linear Solver erreichen. In den restlichen neun Optimierungsaufgaben erreichte er ein gleichwertiges Ergebnis schneller oder konnte in sehr kurzer Zeit eine bessere Lösungsqualität erzielen. Weitere Details finden Sie im Technologie-Blog von SAP: Benchmarking Fujitsu’s Digital Annealer to solve complex combinatorial optmization problems.

Yaad Oren, Leiter des Innovation Center Network und Managing Director von Labs US bei SAP, zieht ein positives Zwischenfazit zur Zusammenarbeit von Fujitsu und SAP: „SAP steht für die kontinuierliche Innovation unserer Business Technology Platform. Wir freuen uns sehr über die Zusammenarbeit mit Fujitsu, mit der wir die Potenziale von Quantum Inspired Computing maximal ausloten können. Die erhaltenen Ergebnisse legen nahe, dass sich ausgewählte, hochkomplexe Aufgaben aus der Logistik und der Fertigung besser und schneller lösen lassen, als es bisher der Fall ist.“

So geht es weiter

Die nächste Herausforderung besteht nun darin, auf Basis dieser Ergebnisse geschäftsrelevante Anwendungsfälle abzuleiten. Für diese müssen dann die Mehrwerte aufgezeigt werden, die sich durch die Beschleunigung oder die bessere Lösungsgüte ergeben.

In einigen Industriesegmenten sind wir diese Aufgabe in enger Zusammenarbeit mit den Endanwendern bereits angegangen. So zeigte ein Projekt mit der Hamburg Port Authority ein CO2-Einsparpotenzial von bis zu 9 Prozent bei einer gleichzeitigen Verkürzung der durchschnittlichen Reisezeiten um bis zu 23 %. Das gelang durch die Echtzeit-Optimierung der Ampelschaltungen an den Kreuzungen. Außerdem ergab sich für die MediaMarktSaturn Retail Group ein Einsparungspotenzial von bis zu 4,7 % bei einem Auslieferungsszenario.

Haben wir Ihr Interesse geweckt und Sie wollen weitere Informationen, wie Ihnen Quantum (Inspired) Computing heute und in Zukunft helfen kann, geschäftsrelevante Herausforderungen zu adressieren? Kontaktieren Sie uns über unsere Webseite.


Superposition, Verschränkung und Tunneleffekte

Um die zentralen Begriffe des Quantencomputings zu erklären, ist ein kleines Gedankenexperiment hilfreich. Stellen Sie sich dazu zwei Münzen vor. Eine Seite dieser Münzen ist jeweils rot (repräsentiert den Wert „1“), die andere jeweils grün (Wert „0“).

Egal aus welchem Blickwinkel Sie die Münzen betrachten: Sie sehen immer entweder eine grüne oder eine rote Seite. Der Wert ist also immer „0“ oder „1“. Versetzen Sie eine der Münzen nun in eine schnelle Drehung, so überlagern sich grün und rot zur Farbe gelb. Die Münze nimmt damit alle möglichen Werte gleichzeitig an. Erst wenn Sie die Drehung der Münze stoppen, ergibt sich wieder der eindeutige Wert grün oder rot. Analog besitzt ein Qubit zu jeder Zeit nicht nur den Wert 0 oder 1, sondern alle Werte dazwischen gleichzeitig – das ist die Superposition. Erst durch einen externen Einfluss (zum Beispiel durch eine Messung) ergibt sich eindeutiger Wert.

Nehmen Sie nun an, dass Sie zwei Münzen so miteinander koppeln können, dass die zweite immer die gleiche Farbe anzeigt wie die erste. Versetzen Sie beide Münzen in Drehung. Wenn Sie dann die Drehung der einen Münze stoppen und diese zeigt grün, zeigt die zweite Münze zwingend ebenfalls grün. Das würde sie sogar dann tun, wenn sie sich weit entfernt von der ersten befindet, zum Beispiel auf dem Mond. Das ist Verschränkung.

Sperren Sie jetzt eine der Münzen in einen Tresor. Der gesunde Menschenverstand sagt Ihnen, dass sich die Münze nur innerhalb des Tresors befinden kann. In der Quantenwelt gibt es aber eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass die Münze die Tresorwände durchtunnelt hat und außerhalb liegt. Das ist der Tunneleffekt.

Wahrscheinlichkeiten und Dekohärenzzeiten

Aber warum hat noch niemand eine Münze außerhalb des Tresors gefunden? Und warum konnte noch niemand nachweisen, dass die zweite Münze wirklich immer dieselbe Farbe hat wie die erste, egal wann die Rotation beendet wird? Das liegt an den Dekohärenzzeiten. Darunter versteht man die Zeitspanne, in der die Überlagerungszustände (Superposition, Verschränkung) zerfallen, zum Beispiel durch externe Einflüsse.

Diese Zeiten sehen wie folgend aus:

Dekohärenzzeiten in Sekunden *
Umgebungseinfluss Freies Elektron Staubteilchen 10 µm Bowlingkugel
300 K, Normaldruck 10-12 10-18 10-26
300 K, Ultravakuum (Labor) 10 10-4 10-12
mit Sonnenlicht (auf der Erde) 10-9 10-10 10-18
mit Wärmestrahlung (300 K) 10-7 10-12 10-20
mit kosmischer Hintergrundstrahlung (2,73 K) 10-9 ** 10-7 10-18

* E. Joos et al.: Decoherence and the Appearance of a Classical World in Quantum Theory, Springer 2003, ISBN 3-540-00390-8

** Horst Völz: Grundlagen und Inhalte der vier Varianten von Information: Wie die Information entstand und welche Arten es gibt. Hrsg.: Springer-Verlag. Springer-Verlag, Berlin, ISBN 978-3-658-06406-8, S. 143.

Ausgehend von diesen Zeiten ist eine gewisse theoretische Wahrscheinlichkeit gegeben, dass sich eine Münze (oder eine Bowlingkugel) außerhalb des Tresors befindet. Diese ist aber so gering, dass sich ein solches Phänomen praktisch nie beobachten lassen wird. Analoges gilt für die zwei drehenden Münzen. Die Zeitspanne der Verschränkung ist so kurz, dass die angezeigte Farbe der zweiten Münze unabhängig ist von der Farbe, die die erste Münze nach Beendigung der Drehung aufweist. Anders sieht es hingegen bei sehr kleinen Teilchen wie Elektronen aus. Allerdings muss die Umgebung gegen externe Einflüsse weitestgehend abgeschirmt sein. Dies ist eine der Herausforderungen, die sich bei der Entwicklung von Quantencomputern ergibt.