Wenn es um neue Technologien geht, sind viele Unternehmen schnell dabei, diese einzusetzen. Niemand möchte hinter den Mitbewerbern zurückbleiben und den Anschluss verlieren. Doch nicht selten sind die Erwartungen hoch – und die Ergebnisse enttäuschend. Diese Erfahrung haben viele Unternehmen auch mit der an sich vielversprechenden Künstlichen Intelligenz (KI) gemacht. Aber wie lässt sich eine neue Technologie sinnvoll einführen und (teure) Enttäuschungen vermeiden?
Darüber haben wir mit Niels Strohkirch, Head of Business Unit Uvance und Mitglied der Geschäftsleitung bei Fujitsu, gesprochen. Er verrät die gängigsten Fehler in der Digitalisierung und der Einführung von KI, wie diese vermieden werden können und wie die erfolgreiche Umsetzung von Projekten in der Praxis aussieht.
Stolperfallen in der Digitalisierung
Hallo Niels – vielen Dank für deine Zeit! Was würdest du sagen: welches sind die gängigsten Fehler, die Unternehmen in der Digitalisierung und speziell bei der Einführung von KI begehen?
Da gibt es sicher eine ganze Reihe, größere und kleinere. Eine Falle, in die viele Unternehmen laufen, ist es aber, Technologien nur deswegen einzusetzen, weil sie vielversprechend aussehen und die Mitbewerber dasselbe machen. Ob und wo der Einsatz wirklich sinnvoll ist und welche Prozesse dadurch unterstützt und verbessert werden, wird oft zunächst ignoriert. In vielen Fällen steht die Technologie im Vordergrund, nicht aber der Prozess – und das führt zu Problemen, die sich mit der richtigen Herangehensweise vermeiden lassen.
Woher kommt dieses scheinbar unüberlegte Handeln?
Heutzutage steht das C-Level einfach unter großem Druck. CIOs (Chief Information Officer) sollen neue, bahnbrechende Technologien und Implementierungen finden, die sofort zu klaren Kosteinsparungen und Effizienzsteigerungen führen. CEOs (Chief Executive Officer) müssen durch Künstliche Intelligenz den Unternehmenswert auf ein Level weit oberhalb des Vergleichsmarktes bringen. Und CRO (Chief Revenue Officer) haben die Aufgabe, das organische Wachstum zu verdoppeln und Marktanteile zu gewinnen, bei gleichzeitig geringerem Budget und weniger Mitarbeitern. Die Liste ließe sich für weitere Positionen im C-Level noch eine Weile fortführen.
Für all diese Anforderungen scheint es eine einfache Lösung zu geben: Künstliche Intelligenz. Viele Mitbewerber nutzen sie bereits und es gibt gefühlt tausende von Start-Ups, die alle extreme Effizienzgewinne versprechen und jeden, der nicht sofort massiv investiert, als „Low Performer“ brandmarken. Daher wird KI so schnell es geht eingeführt und soll alle bestehenden Probleme lösen. Leider sind die Erwartungen, die mit dieser Einführung verbunden sind, dann nicht realistisch und können nicht erfüllt werden. Das passiert vor allem dann, wenn nur die Technologie im Fokus steht und die von ihr beeinflussten Prozesse völlig außer Acht gelassen werden. Um es ganz klar zu sagen: Digitalisierung ist eine Reise und kein punktueller Trip!
So geht’s besser
Und wie macht man aus diesem spontanen Trip eine gut geplante Reise?
Das C-Level muss vermeiden, dem Herdentrieb zu folgen. Stattdessen sollte es sich auf die richtigen Projekte fokussieren, die die gewünschten Vorteile bringen. Die Zauberformel ist dabei der altbekannte ROI (Return on Investment): in welchem Verhältnis stehen meine Ausgaben zu den erzielten Gewinnen. Außerdem sollte man realistisch sein. Künstliche Intelligenz ist eine tolle Technologie, kann aber nicht sämtliche Erwartungen erfüllen und die Lösung für alles sein. Sie ist nützlich und ermöglicht Effizienzsteigerungen – muss aber auch richtig und sinnvoll eingesetzt werden.
Hast du vielleicht ein konkretes Beispiel für uns, wie ein nicht nachhaltig geplanter Einsatz in der Praxis aussehen kann?
Nehmen wir als einfaches Beispiel den Microsoft Co-Pilot. Er wird oft genutzt, um Routineaufgaben zu übernehmen und den Arbeitsalltag zu erleichtern. Das klingt auf den ersten Blick sehr gut. Doch schnell wird übersehen, dass sein Einsatz nicht nur die eigentlichen Kosten mit sich bringt – sondern auch Folgekosten für Microsoft Office-Anwendungen (wenn noch nicht vorhanden) oder benötigten Cloud-Speicherplatz. Dann ist die ursprüngliche Kosten-Nutzen-Rechnung plötzlich nicht mehr korrekt und selbst wenn der Co-Pilot Vorteile bringt, stimmt der ROI vielleicht nicht mehr. Der Worst Case wäre, dass er höhere Kosten als Einsparungen verursacht. Das will niemand.
Genau aus diesem Grund ist es wichtig, von Anfang an die betroffenen Prozesse in ihrer Gesamtheit zu betrachten. Dadurch ergibt sich auch am Ende ein zufriedenstellender ROI, so wie bei einem unserer aktuellen Projekte mit einem Kunden.
REHAU: Künstliche Intelligenz im Einsatz
Kannst du uns zu dem Projekt mehr erzählen?
Sehr gerne! Wir haben dort eine neue, KI-basierte Lösung für REHAU Industries SE & Co. KG. implementiert, die in Zukunft eine wichtige Rolle bei der Optimierung der Qualitätskontrolle spielen wird. Im Fokus des Projekts standen Kunststoffprofile, eines der Schlüsselprodukte von REHAU. Die eingesetzte Lösung soll zukünftig unter anderem die Fehlererkennung in den Produktionsprozessen solcher Schlüsselprodukte unterstützen und hat schon jetzt zu entscheidenden Verbesserung geführt.
Generell haben wir hier den Fall, dass die enorme Produktvielfalt, in Verbindung mit den höchsten Ansprüchen an eine perfekte Oberfläche, die Qualitätssicherung des Unternehmens vor Herausforderungen stellt. REHAU produziert über 200.000 verschiedene Produktvarianten in unterschiedlichen Farben, Mustern und Designs in mehreren Werken weltweit. Das bringt dann viele verschiedene Kriterien für eine hohe Produktqualität mit sich.
Wo kommt da die Künstliche Intelligenz ins Spiel?
Bisher hat sich REHAU bei der Qualitätskontrolle in der Produktion auf die Sichtkontrolle durch Mitarbeitende am Band verlassen. Der Prozess war jedoch zeitaufwändig und teilweise fehleranfällig. Zum Beispiel konnte die Qualität der hergestellten Waren nur am Anfang oder am Ende eines Bündels oder durch Stichproben während der Produktion überprüft werden. Trotz der hohen Stabilität der Prozesse und aller Kontrollen war das ein ständiges Risiko für unentdeckte Fehler und andere Probleme.
Das neue Kontrollsystem hat dieses Verfahren schon im Pilotbetrieb rationalisiert und dabei erfolgreich über 99 Prozent (99,32 %) aller Fehler in einem Testdatensatz erkannt. Die integrierte KI wurde anhand von Bildern der gefertigten Profile im optimalen Zustand trainiert, wodurch das System alle Arten von Fehlern während des Fertigungsprozesses jetzt zuverlässig erkennen kann.
Diesen großen Erfolg konnten wir nur erreichen, weil das Projekt den gesamten Prozess End-to-End betrachtet hat. Die Künstliche Intelligenz wurde dann so eingesetzt, dass sie den bestehenden Prozess bestmöglich ergänzt und unterstützt. Auf der Basis konnten wir schließlich gemeinsam mit REHAU einen klaren ROI errechnen, der auch den Roll-Out in den Werken weltweit berücksichtigt.
Wichtige Learnings in einem dynamischen Umfeld
Welche wichtigen Learnings nehmt ihr aus solchen Projekten mit?
Kurz und knapp zusammengefasst:
- Derzeit gibt es keine Lösung „Off the Shelf“. Es stehen immer der konkrete Kunde und seine individuellen Herausforderungen im Fokus.
- Der Einsatz von KI macht nur dann Sinn, wenn es einen klaren ROI gibt.
- Digitalisierung ist keine Frage der Technologie, sondern immer der Prozesse.
- Das gesamte Unternehmen muss involviert sein, bis hinauf zum C-Level.
Generell lernen wir jeden Tag und bei jedem neuen Projekt etwas dazu. Die Digitalisierung und die Einführung von Künstlicher Intelligenz sind in vollem Gange – und wir sind stolz darauf, unseren Teil beizutragen.
Vielen Dank für deine Zeit, Niels!
Möchten Sie mehr zu diesem Thema erfahren? Niels Strohkirch war vor kurzem zu Gast beim Handelsblatt Summer Camp und hat dort u. a. im Rahmen eines Podcast sein Fachwissen geteilt. Den Podcast finden Sie hier beim Handelsblatt – oder direkt im Anschluss an diesen Blogbeitrag. Viel Spaß beim Anhören!
Beate Keitel ist Business Partner Marketing bei Fujitsu. In ihrem Arbeitsalltag ist sie immer neugierig, interessante Menschen mit außergewöhnlichen Themen kennenzulernen