Das Netz legt sich wie eine digitale Schicht über die Welt, sagt Sascha Lobo und drückt damit das aus, was unser Leben auf dem Weg in die Digitalisierung ausmacht. Wir leben online. Immer und überall. Anlässlich des „CIO-Treff im Turm“ unter dem Motto „Perspektiven“ zeigte der bekannte Netz-Vordenker und Bestsellerautor Sascha Lobo in einer Keynote, wie drastisch die Digitalisierung unsere Gesellschaft und auch unser Arbeitsleben verändert. Auch auf dem Fujitsu Forum 2015 präsentierten wir die Auswirkungen der digitalen Transformation in all ihren Facetten mit der „Human Centric Innovation in Action“. Doch was bedeutet der Faktor Mensch im Mittelpunkt einer digitalen Welt? Was genau verändert sich? Was steckt eigentlich hinter künstlicher Intelligenz und dürfen wir uns wirklich darauf gefasst machen, die Straße und unser Leben in ein paar Jahren mit selbstfahrenden Autos und Robotern zu teilen? Wir freuen uns sehr, Sascha Lobo in einem Interview diese Fragen stellen zu dürfen. Wir sprachen mit ihm über den schwer greifbaren Faktor der künstlichen Intelligenz, über Veränderungen, IT-Sicherheit und die Welt in der Zukunft.

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Guten Tag Herr Lobo, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben für dieses Interview.

Sehr gerne.

Die gesamte IT-Welt spricht von dramatischen Veränderungen im Rahmen der Digitalisierung. Wo sehen Sie die größten Veränderungen? Was verändert sich zum Beispiel in der Gesellschaft, aber auch in der Arbeitswelt?

Aus meiner Perspektive existieren zwei sehr einschneidende Veränderungen als Basis. Zum Einen ist das die digitale soziale Vernetzung. An dieser Stelle würde ich die sozialen Medien quasi nur als Blüte davon begreifen, dass immer mehr Menschen ins Netz strömen und dort interagieren. Das meine ich mit digitaler sozialer Vernetzung. Und die zweite Veränderung liegt im unfassbaren Siegeszug der Smartphones, des mobilen Internet insgesamt.

Dieser Siegeszug, zusammen mit dieser sozialen Vernetzung bedeutet, dass sich das Netz wie eine Art digitale Schicht über die ganze Welt legt.

Sascha_Lobo_im_Interview-2Das ist die Ausgangsbasis für eine ganze Reihe von anderen Entwicklungen, die zum Beispiel das ortlose Arbeiten mit sich bringen. Dadurch verändern sich natürlich Arbeitsstrukturen und Prozesse. Das ist ebenso klar, wie zum Beispiel die Virtualisierung in der Cloud; die Plattformen, die jetzt immer mehr Macht bekommen und die andere –  meistens schnellere – echtzeitgetriebene Effizienzmechaniken in die Arbeitswelt bringen. Und ich glaube auch, dass diese Entwicklung so weit geht, dass man tatsächlich vom „Plattformkapitalismus“ sprechen muss.

Ich denke, unser Wirtschaftssystem entwickelt sich durch diese Plattformen weiter, die als Basis dafür dienen. Ich halte diese Entwicklung für ähnlich groß, intensiv und vielschichtig wie die Globalisierung und genauso wie man dort nicht sagen kann: das ist ausschließlich grundsätzlich gut oder ausschließlich grundsätzlich schlecht, ist es auch hier. Es ist es die Aufgabe der Unternehmen und gerade der Technologieunternehmen, mit zu gestalten, wie etwas passiert, wie also der Plattformkapitalismus, diese „nächste Spielart des Wirtschaftens“, genau von statten geht, wie negative Folgen abgemildert und das Positive betont werden können.

Herr Lobo, wir sprechen hier von gravierenden Veränderungen. Wie wichtig wird unter diesem Aspekt das Thema IT-Sicherheit in Unternehmen sein? Wo liegen die größten Einfallstore für potentielle digitale Angreifer?

Das größte Einfallstor beziehungsweise „der“ größte Einfallstor ist schon immer und bleibt vermutlich auch immer der Mensch selbst. Das ist auch eine Binsenweisheit, die dadurch leider nicht falscher wird.

Man kann die größte, beste und am besten ausgestattete Technologie haben: jemand, der wirklich dramatisch falsch informiert ist, wird trotzdem eine Lücke finden oder produzieren – sei es nur zufällig -, ohne dass man darauf vorbereitet sein kann.

Ich glaube also, Technologie hat die Aufgabe, die Sicherheit bis zu einem bestimmten Punkt zu gewährleisten. Das lässt sich nicht unendlich weiter treiben, das darf man auch gar nicht erwarten – sonst wird man immer enttäuscht werden. Aber es ist wichtig, das bis zu einem bestimmten Punkt weiter zu treiben, ohne gleichzeitig zu vernachlässigen, dass zu jedem Sicherheitssystem auch eine Bildung und Weiterbildung der Nutzer gehört. Ich würde da sogar gesellschaftlich von einer digitalen Mündigkeit sprechen, die man forcieren muss, über die eine gesellschaftliche Debatte stattfinden muss. 

Ohne eine digitale Mündigkeit wäre das großartigste Sicherheitssystem wahrscheinlich zu einem großen Teil in der Pfeife zu rauchen.

Bleiben wir beim Menschen. Wir als Unternehmen stellen den Menschen in den Mittelpunkt der Digitalisierung. Ohne ihn steht die digitale Welt still. Wie bewerten Sie den Faktor Mensch in einer digitalen Welt?

Für mich ist der Faktor Mensch eigentlich das einzig tatsächlich Interessante in einer digitalen Welt. Und das sowohl auf kultureller als auch auf wirtschaftlicher und erst Recht politischer Ebene. Das hängt damit zusammen, dass Technologie ja kein Selbstzweck ist, sondern eigentlich einem instrumentellen Vorankommen dienen soll. Sie sollte als Instrument zu begreifen sein, selbst wenn sie das häufig faktisch nicht ist. Wir müssen Technologie aber als Instrument für die Art und Weise unseres Fortschritts begreifen. 

Ich glaube, dass man Technologie gar nicht anders denken kann, als mit dem Menschen im Mittelpunkt.

Auch wenn das eine vergleichsweise häufig benutzte, fast abgegriffene Formulierung ist, ist es sehr wichtig sich zu vergegenwärtigen, was das eigentlich heißt.

Wir sind heute an einem Punkt, wo zum Beispiel durch künstliche Intelligenz oder durch die Auswertung von Big Data mit der Mustererkennung solche Technologien erzeugt werden können, die sich gegen Menschen richten könnten – und das passiert ja auch heute schon. Insofern ist dieses „Vergegenwärtigen“, das eigentlich die Technologie dem Menschen dienen soll, etwas, was man sich immer wieder selbst sagen und zeigen muss. Ich fürchte das genau das, zusammen mit der Verantwortung die dahinter steht, immer noch zu wenig passiert.

Wagen wir eine kleine Prognose – wo sehen Sie unsere Welt in 20 Jahren? Oder ganz konkret, unter welchen Bedingungen arbeiten wir in 20 Jahren, wenn die Digitalisierung sich weiter fortsetzt?

Ich traue mir nicht zu, eine präzise Prognose abzugeben über die Welt in 20 Jahren. Ehrlich gesagt fällt es mir schon gar nicht so leicht, Prognosen abzugeben über die Welt in FÜNF Jahren. Das hängt damit zusammen, dass die Entwicklungsgeschwindigkeit und die Wirkmacht dieser Veränderungen so schnell und so tief geworden sind, dass eine Vorhersage sich immer nur auf einzelne Bereiche beziehen kann, die aber auch von völlig anderen Dingen überlagert werden können – und zwar technologisch, wie auch politisch – weltpolitisch. Das hat man ja auf grauenvolle Weise in jüngster Zeit gesehen, wie sich quasi über Nacht die Agenda der EU in bestimmten Bereichen geändert hat. Ich glaube, dass es Trends gibt, Entwicklungslinien, anhand derer man ungefähr erahnen kann, in welche Richtung es geht.

Die zunehmende Flexibilisierung ist da ein Punkt. Ich gehe davon aus, dass wir die in Deutschland recht starre Trennung zwischen Selbständigem und Freiberufler auf der einen Seite und „festangestellt“ auf der anderen, früher oder später aufbrechen müssen oder zumindest sollten. Ich gehe davon aus, dass wir im Arbeitsalltag andere Mechaniken finden als die schiere Präsenz. Da ist Deutschland das Gegenteil eines Vorreiterlandes –  also eigentlich eine Art Nachreiter – da die deutsche Wirtschaft auch deswegen so gut funktioniert, weil Hierarchien hier sehr stark auf Präsenz hin optimiert sind. Ich glaube, dass der traditionelle deutsche Chef eher sehen möchte, was seine Mitarbeiter tun. In Skandinavien ist das offenbar nicht ganz so stark ausgeprägt. Ich glaube aber auch, das es hier langsam anfängt mit dem, was man seit den 90-iger Jahren „Teleworking“ nennt. Hier ergeben sich tatsächliche Veränderungen. 

Zu einer Zukunftsprognose passt auch das Thema „künstliche Intelligenz“. Was haben Sie für ein Bild von „künstlicher Intelligenz“?

Künstliche Intelligenz ist ein sehr schwierig greifbarer Bereich. Das hängt vor allem damit zusammen, dass künstliche Intelligenz als Schlagwort so oft missbraucht worden ist – für eigentlich bloß einigermaßen neue Formen der Datenverarbeitung, die mit Intelligenz gar nicht viel zu tun hatten. Ich bevorzuge inzwischen eher Begriffe wie „Machine Learning“ oder „selbstlernende Algorithmen“, „Programme“ oder „selbst lernende Software“. Damit sage ich nicht, das es künstliche Intelligenz nicht gibt. Ich glaube bloß, dass sie sich völlig anders darstellt oder darstellen wird als man das glaubt, wenn man direkt aus einem Terminator-Film heraus gestolpert kommt und irgendwelche Roboter vor Augen hat, die über die Straße laufen und so ähnlich aussehen wie Menschen.

Darauf bezogen wäre künstliche Intelligenz aus meiner Perspektive einfach eine direkte Folge von dem, was – der leider verstorbene – Frank Schirrmacher die „Dampfmaschine des Geistes“ genannt hat – nämlich die digitale Vernetzung selbst. Und genauso wie die Dampfmaschine mechanische Arbeit erledigen konnte, die vorher dem Menschen überlassen blieb und dadurch das Industriezeitalter angeschoben wurde, ist die künstliche Intelligenz in der Lage, bestimmte geistige Arbeiten zu ersetzen. Zumindest zu einem Teil. Und zwar mit positiven, wie auch mit dramatisch negativen Folgen, je nach Blickwinkel. Meine Co-Autorin Katrin Passig sagte bereits 2012 sehr klug:

Man hat nichts gegen die digitale Transformation, bis der eigene Job durch eine 99 Cent App ersetzt worden ist.

Und genau das lässt sich, sagen wir mal, für die Autorisierung von bestimmten Bildungsberufen denken. Ich rede jetzt zum Beispiel von bestimmten Rechtsanwaltstätigkeiten, die heute schon algorithmisch erledigt werden können. Seit langem bekannt ist auch Software wie die von „Narrative Science“, die Artikel schreiben kann. Für bestimmte Wirtschafts- und Sportthemen reichen diese automatisierten Artikel völlig aus. Das hätte man vor 20 Jahren auch nicht gedacht, dass eine Software einen Journalisten überflüssig machen kann oder einen Rechtsanwalt. Insofern glaube ich, da kommt sehr viel auf uns zu und wir müssen uns damit strukturell beschäftigen. Es hilft eben nicht weiter, wenn man das zu angstbesetzt tut oder wenn man es als Weltuntergangsszenario sieht. Wir müssen versuchen zu verstehen, was eigentlich hinter künstlicher Intelligenz steht. Dann kann man sich immer noch darauf einigen, dass man bestimmte Sachen möchte und andere auf keinen Fall.

Ich glaube eher an eine „organische Hinüberentwicklung“ zu lernenden Maschinen, als tatsächlich an einen Roboter, der uns ins Gesicht lacht und irgendwas erzählt.

Herr Lobo, vielen Dank für dieses Interview!

Sehr gerne!


Sascha Lobo, studierte Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste in Berlin. Er arbeitet als Autor und Strategieberater mit den Schwerpunkten Internet und Markenkommunikation für Kunden wie die Deutsche Messe, die Fraunhofer Gesellschaft und VW. Er hält Vorträge über die digitale Welt von Social Media bis hin zu digitalen Arbeitsprozessen für Unternehmen. Seit Januar schreibt Sascha Lobo die wöchentliche Kolumne „Mensch-Maschine“ auf Spiegel Online. Mit verschiedenen Co-Autoren (Holm Friebe, Katrin Passig, NEON) verfasste er Sachbücher zu den Themen Arbeit, Netz und Gesellschaft. 2010 veröffentlichte er seinen ersten Roman „Strohfeuer“. Für das Gemeinschaftsblog „Riesenmaschine.de“ erhielt Sascha Lobo 2006 den Grimme Online Award, 2007 den Erik-Reger-Literaturpreis (Förderpreis) und andere Auszeichnungen. Zuletzt erschien im Oktober 2012 sein Buch „Internet – Segen oder Fluch“, gemeinsam geschrieben mit Katrin Passig.

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