Omni-Channel, ein Wort das die Retail-Branche derzeit gründlich umkrempelt. Aber was steckt überhaupt hinter einer „Omni-Channel-Welt“ und in wie weit haben die Einzelhändler ihre Strategien an eine neue Welt angepasst? Heute kaufen wir anders ein als noch vor ein paar Jahren und mit der knappen Antwort – weil Online-Kanäle zum Standard avancieren – machen wir uns die Sache zu einfach. Anhand einer Studie mit Test-Shoppern ermittelte Fujitsu, wie weit deutsche Einzelhändler auf ihrem Weg in die Omni-Channel-Welt bereits gekommen sind. In einem Interview erläutert uns Thomas Zott, Program LeadEnabling Digital, IoT, Retail, Fujitsu, die Fakten und die Ergebnisse der Mystery-Shopping-Studie. Einen Punkt stellt Zott dabei ganz klar heraus: Im Vergleich zu anderen Ländern wie den USA oder Großbritannien herrscht in Deutschland deutlicher Nachholbedarf in Sachen „Service“.
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Guten Tag Herr Zott, vielen Dank dass Sie sich Zeit für dieses Interview nehmen. Wir unterhalten uns heute über die Mystery Shopping Studie – was war genau der „Stein des Anstoßes“ für diese Studie?
Im Januar 2014 haben wir eine neue Omni-Channel-Solution, FUJITSU MarketPlace, gelauncht. Natürlich bin ich daher besonders sensibilisiert, was diese Lösung an Möglichkeiten zur Verbesserung der Retail-Services-Qualität insbesondere für stationäre Ladengeschäfte mit sich bringt. Der eigentliche Anstoß für die Studie kam dann durch eine private Geschichte. Ich wollte mir eine neue Skijacke kaufen und habe in einem lokalen Sportgeschäft eine Jacke gefunden, die mir wahnsinnig gut gefallen hat. Nur leider gab es die nicht in meiner Größe und ich habe den Verkäufer gefragt, ob er die Jacke vielleicht noch auf Lager hat oder ich sie irgendwie bestellen kann – er konnte es nicht und verwies mich auf einen Onlineshop.
In diesem Onlineshop gab es die Jacke zwar – jetzt muss ich dazu sagen, es war Winterschlussverkauf und die Skijacke war deutlich reduziert – aber zum regulären Preis. Das hat mich motiviert, weiter zu forschen ob es diese Jacke bei einem anderen Anbieter zum geringeren Preis gibt. Und siehe da – das war der Fall und in diesem Moment hat mich das Sportgeschäft als Kunden verloren. Dass ist eine der vielen Funktionen, die FUJITSU MarketPlace sicherstellt: Transparenz für das Verkaufspersonal und Transparenz für den Kunden. Bei meiner Skijacke war das nicht gegeben und durch diese eigene Erfahrung bin ich dann noch einmal auf den Vertrieb zugegangen und wir haben uns gefragt, wie wir an weitere Informationen für dieses spezifische Thema kommen.
Und durch diese persönliche Erfahrung und dieses Feedback entstand die Geschichte des Mystery Shopping.
Die Lieferbarkeit von Produkten war sicher ein Thema – wie lief die Studie ab und was genau haben die „Mysterie Shopper“ untersucht?
Wir haben in diesem Zusammenhang mehrere Szenarios entwickelt. So typische Shopping-Szenarios, würde ich es mal nennen. Eines, wie ich es gerade geschildert habe. Der Kunde sucht nach einem preisreduzierten Produkt, was der Händler gerade nicht auf Lager hat und er versucht dann herauszufinden, in welcher Filiale er es bekommen könnte. Ist es online verfügbar? Wäre der Retailer bereit, es mir nach Hause zu schicken oder an eine andere Filiale? Das war ein Szenario.
Im Zweiten interessierte sich der Kunde für ein Produkt, hätte es aber gern in einer anderen Farbe oder einer anderen Größe. Wie reagieren Unternehmen dann? Im dritten Szenario agierte der Kunde als Reisender. Nehmen wir an, seine Frau sieht ein paar Schuhe aber unser Kunde möchte sie nicht den ganzen Tag herumtragen. Wie reagieren Händler dann? Wären sie bereit, das Produkt nach Hause zu schicken, in den Shop oder findet sich eine andere Lösung?
Die Studie verlief also szenenbasiert. Logisch, die Testshopper mussten natürlich auch wirklich agieren, um die Informationen zu bekommen und gründliche Recherchearbeit leisten. Diese Idee steckte hinter der Mystery Shopping Studie.
Ich fasse das noch einmal zusammen. Im Mittelpunkt standen also zusätzliche Produktinformationen, die Verfügbarkeit und Lieferbarkeit der Produkte?
Unsere Testshopper bekamen einen relativ umfangreichen Fragebogen. Da spielten auch andere Themen mit rein die wir alle aus eigenen Shopping-Erfahrungen kennen. Zum Beispiel Click&Collect. Also habe ich die Möglichkeit, mir online etwas anzuschauen und dann vor Ort zu kaufen. Die Studie war relativ breit angelegt, aber im Prinzip ist es das, was Sie eben zusammengefasst haben.
Zu welchen zentralen Ergebnissen sind Sie gekommen?
Die Ergebnisse waren relativ heterogen und eines möchte ich noch vorweg sagen – wir sprechen hier ausschließlich von der deutschen Studie. Wir befragten zehn bekannte Fashion-Retailer und konnten sehen, dass der eine Retailer Stärken an der einen Stelle hat und andere eben an einer Anderen. Also man kann tatsächlich kein sehr gleichförmiges Bild zeichnen. Vergleichen wir jedoch mit Ländern wie den USA oder Großbritannien, zeigen uns, das diese Länder uns was OmniChannel angeht, ein Stück voraus sind. Dort lief die Studie ebenfalls und es ist in der Tat so, das diese Länder den Service- und OmniChannel-Gedanken deutlich mehr verinnerlicht haben als das es in mitteleuropäischen Ländern der Fall wäre. In Italien zum Beispiel kam man zu ähnlichen Ergebnissen wie in Deutschland. Fakt ist, vergleichen wir uns mit Ländern wie USA oder UK, hinken wir tatsächlich weit zurück.
Kaum ein Unternehmen schickt Waren mit großer Begeisterung nach Hause, vielleicht auch weil andere strategische Ideen dahinter stecken. Ich hatte auch einmal das Vergnügen, bei einem Kundenmeeting dabei zu sein, wo genau diese Themen besprochen wurden. Sie wären theoretisch in der Lage, den Servicegedanken in dieser Hinsicht weiter auszubilden, es gibt aber Gründe dafür, warum sie es nicht tun. Deswegen würde ich jetzt nicht sagen „deutsche Unternehmen können es nicht“, sondern es stecken andere strategische Ideen dahinter, ein anderer Ansatz.
Vielleicht auch eine andere Herangehensweise?
Unter Umständen hat dieser Fakt auch etwas mit dem Training oder der Incentivierung der Mitarbeiter zu tun. Auch das hat die Studie gezeigt. Ich nenne einfach mal ein Beispiel. 30 Prozent der befragten Fashion-Retailer konnten etwas nach Hause schicken, 70 Prozent konnten es nicht. Das sind auffällige Ungereimtheiten. Warum sollten es 30 Prozent können, die anderen nicht? Da muss es einen Grund geben. Es hat sich dann oft herauskristallisiert, dass es tatsächlich etwas mit dem „Wissen“ und Training der Mitarbeiter zu tun hat – oder aber auch wieder mit dem Servicegedanken, der in anderen Ländern deutlich stärker verankert zu sein scheint.
Welche wichtigen Fragen wirft die Studie also für die Retail-Branche auf?
Natürlich müssen sich deutsche Retailer die Frage stellen, warum sind uns Länder wie UK oder USA so weit voraus? Wo liegen die Gründe und wie steht es grundsätzlich mit dem Servicegedanken der deutschen Retailer? Die Erwartungen der Kunden an den Service werden in Zukunft jedenfalls steigen. Ich glaube, das ist die zentrale Frage, die sich der Retailer stellen sollte. Biete ich das an oder laufe ich Gefahr, meinen potenziellen Kunden zu verlieren an einen Konkurrenten, der genau diesen Service anbietet?
Wenn wir über die Studie hinausblicken – welche Erwartungen hat der Kunde gegenwärtig an den Handel über den von Ihnen angesprochenen Servicegedanken hinaus?
Ich sage es mal salopp: der Kunde möchte nicht für dumm verkauft werden. Er erwartet Transparenz, um bei meinem eingangs diskutierten Beispiel zu bleiben. Ich möchte nicht wegen fehlender Verfügbarkeit bei einer 250 Euro Skijacke in einen Onlineshop verwiesen werden, wo ich das Produkt um einen Hunderter deutlich teurer bekomme. Also erwarte ich Transparenz über den Preis, Transparenz über die Verfügbarkeit. Wahrscheinlich kennt jeder eine solche Situation, ein Produkt erst gekauft zu haben und es dann eine Woche später mit einer Promotion günstiger zu entdecken. Das alles schafft Unzufriedenheit beim Kunden und um genau solchen Situationen vorzubeugen, hilft Transparenz.
Am Ende des Tages ist es doch so – ich möchte eine einheitliche Information, ob im Internet oder am Point of Sale (PoS) oder anders herum. Oft machen wir uns heute im Netz schlau, bevor wir ein Produkt kaufen und ich möchte immer die selbe Information – egal über welchen Kanal.
Sie haben es eben bereits angesprochen – wir gehen anders einkaufen als bis noch vor ein paar Jahren. Wir machen uns „schlau“. Wie verändert die Digitalisierung unser Einkaufserlebnis?
Der Kunde hat jederzeit die Möglichkeit, zu vergleichen. Er hat die Möglichkeit, von zu Hause aus zu vergleichen. Er hat ja sogar die Möglichkeit, vor Ort noch zu vergleichen. Wenn ich heute in irgendein Sportgeschäft gehe, sehe ich Leute mit ihren Smartphones, die im Laden noch Preise vergleichen und recherchieren. Der Kunde besitzt schon eine gewisse Art von Transparenz und das ist nur eine Facette der Digitalisierung. Trotzdem bleibt das Einkaufserlebnis am PoS noch spannend. Vor Ort kaufen wir immer noch deutlich mehr als Online. Was ändert sich sonst noch?
Unternehmen entwickeln bessere Instore-Technologien. Vielleicht haben Sie das schon einmal gesehen. Es gibt heute Technologien wie Spiegel in Umkleiden, die Kleidungsstücke in verschiedenen Farben darstellen können. Der Kunde geht hinein, zieht ein schwarzes T-Shirt an und möchte wissen, ob ihm das Produkt auch in blau steht. Der Spiegel als Display gibt dem Kunden die Möglichkeit, sich verschiedene Farben anzusehen. Das verstehe ich unter besserer Instore-Technologie und demzufolge müssen Händler heute nicht mehr alles auf Lager nehmen – sie sparen Lagerkapazität über digitale Technologien. Das bringt mich auf einen weiteren Punkt.
Wir dürfen auch den demographischen Aspekt bei der Entwicklung nicht vergessen. Ich glaube, die jüngere Generation erwartet etwas völlig anderes, als ich das noch tue. Junge Menschen wollen interagieren, sie wollen kommunizieren, idealer Weise mit Personen aber unter Umständen auch mit Produkten. Wie gesagt, wir laufen heute mit unseren Smartphones durch die Läden. Warum sollte man in Zukunft nicht auch mit Produkten kommunizieren, um direkt Informationen zu bekommen, über den Barcode oder Augmented Reality? Als ein weiteres großes Thema sehe ich Click&Collect. Wir alle schauen auf unsere Work-Life Balance, Zeit ist knapp.
Gerade im Lebensmittelbereich bieten Unternehmen heute schon Click&Collect an. Ich bestelle im Internet meine Waren und nehme dann alles auf dem Heimweg am Autoschalter mit und spare mir den Weg durch den Supermarkt. All das bringt die Digitalisierung mit und sie gibt Möglichkeiten, die heute vielleicht ein bisschen futuristisch klingen – aber wir können uns das alles schon vorstellen.
Was müssen Unternehmen demzufolge konkret tun, um den Kunden nicht zu verlieren? Wie lässt sich das Einkaufserlebnis für den Kunden weiter verbessern?
Also grundsätzlich ist es so, um noch einmal auf das Thema Online und PoS zurück zu kommen – ich glaube das eine ist nicht besser als das andere. Online steht nicht über dem PoS, sondern es gehört dazu und ergänzt die Dinge einfach. Es gibt dem Unternehmer außerdem die Möglichkeit, viel über seinen Kunden zu lernen. Im Prinzip ist jeder Kunde ein „individueller Datenvorgang“, wenn Sie es so möchten, Retailer können so wahnsinnig viel über das Einkaufsverhalten lernen. Auch über die zeitliche Komponente. Kundenkarten und Bonusprogramme liefern da auch interessante Rückschlüsse.
Mit diesen Kundenkarten geht es auch darum, mein Einkaufsverhalten zu checken. Letztendlich auch ein Thema, das uns die Digitalisierung bringt. Auf der anderen Seite gibt es dem Retailer und dem Shoppersonal auch Transparenz zu wissen, ob Produkte auf Lager sind. Das Personal kann jederzeit an Informationen gelangen, die relativ akkurat sind – all das ist entscheidend.
Entscheidend ist also auch, auf die Informationen zu reagieren? Mit anderen Worten, was ich als Retailer vom Kunden lerne, kann ich auch im Sinne des Kunden nutzen?
Der Retailer muss sich in das Shoppingverhalten des Kunden hineinversetzen. Die, wie heißt es doch immer so schön, „Customer Journey“ nachvollziehen können. Dann kann er natürlich einen eindeutigen Vorteil erlangen.
Das gilt für beide Seiten?
Ja, am Ende des Tages für Beide. An dieser Stelle möchte ich noch einen weiteren Punkt anreißen – Zahlungen. Wenn wir uns heute anschauen, wie zahlen wir – entweder bar oder mit EC oder Kreditkarte, so fungiert ein Supermarkt in anderen Ländern auch durchaus als Geldausgabestelle. Wenn ich heute in zum Beispiel den skandinavischen Ländern irgendwo einkaufen gehe und ich brauche Bargeld, dann kann ich eine Rechnung über 100 Euro begleichen und Waren nur für 10 Euro mitnehmen. Also habe ich sozusagen 90 Euro in der Tasche. Mit so einem Service können sich Retailer glaube ich gut positionieren und etwas anbieten, was über das normale Geschäft hinausgeht. Auch einige deutsche Unternehmen bieten diesen Service heute bereits an.
Welche persönlichen Empfehlungen möchten Sie den Händlern mit auf den Weg geben?
Für einen persönlichen Rat kenne ich das individuelle Retailgeschäft glaube ich zu wenig. Was aber glaube ich entscheidend ist: Wenn ein Retailer sich mit dem Gedanken der Digitalisierung beschäftigt, dann darf er das definitiv nicht nur um der Digitalisierung Willen tun. Er muss einen strategischen Approach dahinter haben. Es ist entscheidend zu hinterfragen, was kann ich heute, was können meine Mitarbeiter heute, wie sieht meine Kundenstruktur aus und was erwarte ich mir für die Zukunft? Und wenn ich verschiedene Aspekte hinterfragt habe, dann kann ich mir eine vernünftige Digitalisierungsstruktur einfallen lassen. Entscheidend ist nicht: „Jeder digitalisiert, wir digitalisieren mit“, sondern vielmehr: „Welchen strategischen Ansatz setze ich mit der Digitalisierung um“!
Herr Zott, vielen Dank für dieses Interview!