Thomas Müller ist seit Mai 2021 Head of Public Sector Central Europe bei Fujitsu und damit Streiter und Mitdenker für die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung, der Modernisierung von Schulen, der Vernetzung von smarten Cities und der effektiven Bekämpfung von Cyber-Kriminalität durch eine moderne Polizeiarbeit. Wir haben Thomas Müller gefragt, vor welchen Herausforderungen der Public Bereich seiner Meinung nach steht, was Deutschlands Verwaltung braucht, um im digitalen Wandel einen entscheidenden Schritt nach vorne zu machen und wie die Umsetzung des OZG gelingen kann.
Lieber Thomas, du bist neuer Head of Public Sector und hast per se viel mit Ämtern und Behörden zu tun. Was war denn dein letzter Amts- oder Behördengang?
Mein letzter Berührungspunkt war die Anmeldung für einen Anhänger. Lässt man die Zeit fürs Planen und die Terminfindung außen vor, ist der übliche Gang der Kreisverwaltung sehr geordnet abgelaufen. Leider jedoch auch sehr analog.
Analog – ein gutes Stichwort. Laut deines letzten Social Media Posts in Verbindung mit der zurückliegenden Bundestagswahl, setzt du große Hoffnung in das Thema Digitalisierung. Was ist dein Wunsch?
Das ist natürlich ein Riesenthema und die Grundlage für das Handeln in unserem Geschäftsbereich mit öffentlichen Auftraggeber*innen. Was mich gefreut hat, ist, dass alle großen, namhaften Parteien die Digitalisierung in ihrem Wahlprogramm verankert haben. Ich habe die große Hoffnung, dass der Schub, den wir durch Corona erfahren haben, nicht gebremst wird. Dass wir die bestehenden gesellschaftlichen Herausforderungen mittels Technologien als einen Lösungsbaustein verbessern können. Zudem wird es vielleicht ein Querschnittsministerium für Digitalisierung geben. Dies würde ich als ein starkes Zeichen deuten, dass das Thema neu gedacht wird.
Die mögliche neue Bundesregierung hat Digitalisierung als „Zukunftsthema“ für sich entdeckt. Wie kommt jetzt endlich mehr Drive rein? Aus deiner Perspektive – was muss dafür passieren?
Wir leben in einem föderalen Staat mit verschiedenen Beschaffenheiten in den einzelnen Bundesländern. Sie unterscheiden sich natürlich sehr, wie zum Beispiel durch politische Ziele und verfügbare Ressourcen, aber gerade bei den Herausforderungen gibt es viele Parallelen, wie zum Beispiel bei der zukünftigen demografischen Entwicklung. Wir schaffen mit Technologien „workarounds“ und sprechen dann auch über Brückentechnologien, aber Ziel sollte es sein, einfachere Grundpfeiler zu entwickeln und Systeme einfacher und auch neu zu denken und entwickeln. Konkret meine ich damit Regularien oder auch Gesetze.
Die Brückentechnologien sollten also nur eine Weile den Zweck der Komplexitätsreduktion verfolgen müssen, damit wir die Zeit nutzen, um die eigentlichen Ursachen dieser Komplexität anzugehen. Das alles bedeutet auch, dass man viel Überzeugungsarbeit leisten muss, sowohl bei den Behörden, den Beamt*innen und Mitarbeiter*innen, aber auch bei den Bürger*innen. Denn ohne die Mitwirkung aller Beteiligten wird es keine massive Veränderung geben.
Prozesse sollen also nicht nur digital nachgebaut, sondern komplett neu gedacht werden?
Absolut. Wir müssen überlegen: Sind die alten Prozesse noch die richtigen? Und damit einen Schritt vor dem digitalen Übersetzen anfangen. Neben der Erwartungshaltung der Bürger*innen, dass ein Behördengang genauso einfach wie Online Shopping sein sollte, ist die größte Herausforderung auf Kundenseite der demografische Wandel. Wir werden in den nächsten acht bis zehn Jahren einen Fachkräfteschwund von 35 bis 45 % erleben. Das ist ein enormer Know-how-Verlust und wir müssen die Komplexität der Prozesse reduzieren, um dem immensen Arbeitsaufkommen überhaupt Herr zu werden. Behörden werden sich zunehmend auf ihre Kernaufgaben fokussieren müssen und die Weichen dafür müssen auch kurz- bis mittelfristig gestellt werden. Wenn wir den Status quo weiter akzeptieren, wird diese große Herausforderung niemand meistern können. Anders gesagt: Revolution und Innovation gehen Hand in Hand.
Beim demografischen Wandel spielt auch das Onlinezugangsgesetz (OZG) eine große Rolle. Kurz erklärt, was ist das OZG?
Das OZG ist ein Gesetz, welches das Ziel verfolgt, die analogen Bürgerleistungen ins digitale Zeitalter zu heben. Zum Beispiel: Wie schaffe ich es in Zukunft, meinen Anhänger online anzumelden, ohne Behördengang?
Insgesamt sind es um die 575 Fachanwendungen, die digitalisiert werden. Dafür bilden sich Arbeitskreise und unterschiedliche Organisationen, die sich um Kernanwendungen und die Bereitstellung der Onlinedienste kümmern. Alle arbeiten Hand in Hand, um das Vorhaben bis Ende 2022 erfolgreich umzusetzen. Die Umsetzung ist eine große Kraftanstrengung für die gesamte Verwaltungslandschaft, kann jedoch zugleich viel Potential freilegen und damit insbesondere Bürger*innen sowie Unternehmen zugutekommen. Wir wollen helfen, diese Potentiale zu heben.
Das OZG wird allerdings nur funktionieren, wenn wir die bisherigen Prozesse hinter jeder Fachanwendung gemeinsam transparent analysieren und sie Ende zu Ende denken. Es muss nicht alles neu erfunden werden, sondern man kann und sollte auf bereits bestehende Lösungen aufsetzen, aber auch die Kommunikation der Portale sowie die Informationsflüsse medienbruchfrei sicherstellen. Auch hier gilt wieder: es schafft keiner allein und so gilt das Onceonly Prinzip. Es gibt einen Verantwortlichen und andere können profitieren. Wenn man auf vorhandene Systeme aufbaut, kann auch die Einbeziehung von Brückentechnologien wie der Künstlichen Intelligenz und der Prozessautomatisierung ein erheblicher Mehrwert sein, wie zum Beispiel durch die Einbindung unserer virtuellen Kolleg*innen, wie wir unsere Automatisierungsroboter liebevoll nennen. Das alles kann bereits auch kurzfristig eine Teilantwort auf die demografische Entwicklung sein.
Als Fujitsu helft ihr Organisationen bei der Umsetzung des OZG. Wie geht ihr vor? Kannst du uns ein Beispiel nennen?
Unser Ansatz ist es, Prozesse sowie die Sprache der Kund*innen zu verstehen und von Ende zu Ende zu denken. Von den Bürger*innen, die in die Behörde gehen, bis hin zur Bedeutung auf Plattformebene und dem kompletten Projektfluss dazwischen. Wir fragen uns: Was können wir am Prozess verbessern? Welche Beratungsleistung, welches Know-how und welche Expertise können wir zur Verfügung stellen?
Um ein konkretes Beispiele zu nennen: Einer unserer Kund*innen stand vor der Herausforderung, dass er seine Services 24/7 anbieten wollte, um auch den veränderten Erwartungen der Bürger*innen zu entsprechen. Um dies zu erreichen, konnten wir in einem gemeinsamen Co-design Workshop herausfinden, dass eine Harmonisierung der Support- und Backoffice-Prozesse notwendig sein würde. In dem Workshop entwickelten wir zusammen Lösungsszenarien, um diese Anpassungen auszuarbeiten. Nachdem wir die für die Bürger*innen nicht sichtbaren Prozesse im Hintergrund automatisiert hatten, konnten wir einen Chatbot für den Kunden entwickeln und dadurch die 24/7 Erreichbarkeit sicherstellen.
Das Beispiel zeigt ganz deutlich, dass wir immer den Endnutzer, die Bürgerinnen und Bürger aber auch die Verwaltung und Unternehmen, im Blick behalten müssen.
Es kam eben erst der eGovernment Monitor der Initiative D21 heraus und die Fortschritte in der Digitalisierung der Verwaltung stagnieren. Thomas, warum tut sich Deutschland so schwer?
Ich glaube, grundsätzlich werden Bürger*innen, aber auch die Unternehmen nicht richtig abgeholt. Vieles ist nicht selbsterklärend und zu kompliziert gedacht. Wir müssen aber davon ausgehen, dass die Nutzer*innen nicht die Vorkenntnisse oder schlicht die Zeit haben. Es muss selbsterklärend, zweckmäßig und vielleicht nicht immer gleich das Big Picture sein. Oft wollen wir in Deutschland das „große Ganze“ sofort perfekt umsetzen, überfordern damit aber viele. Ein Ergebnis der Studie belegt zum Beispiel, dass es auch einfach an der Bekanntheit der bereits bestehenden Angebote mangelt. Es bedarf Zeit, aber auch einer klaren Kommunikation.
Was denkst du, welchen Herausforderungen sich der Public Bereich mittelfristig stellen muss?
Der demografische Wandel wird in Zukunft ein zentrales Thema sein – das höre ich auch aus meinen Kundenfeedbacks. Mit der immer dünner werdenden Personaldecke kann die Lösung nur make or buy heißen. Wer allein arbeitet, hat keine Chance. Man muss Allianzen bilden. Auch für die Behörden werden Kooperationen unabdingbar. Natürlich würden wir uns auch auf Verwaltungsebene wünschen, dass es in Zukunft engere Verzahnungen gibt, die uns in den Ergebnissen sehr viel effizienter machen.
Beispielsweise funktioniert die digitale polizeiliche Zusammenarbeit über Grenzen hinweg nur mit besserer Kollaboration, mehr Transparenz und auch der Überwindung von technologischen Brüchen, also auch datenbankübergreifend. Aber genauso im Bereich der Schulbildung heißt es, Entwicklungen weiterzudenken, um die Qualität der Ausbildung zu verbessern. Hier wären einheitlichere Konzepte zur Steigerung der Qualität durch technologische Angebote zwischen den Ländern sehr empfehlenswert.
Du bist quasi ein Kind von Fujitsu und seit deiner Ausbildung dabei. Was motiviert dich, diesen Weg zu gehen?
Ich bin und bleibe leidenschaftlich gerne „Fujitsuianer“. Was mich immer motiviert hat, sind die Menschen. Wir sind sehr divers aufgestellt und haben tolle Menschen an Bord, die alle für die gleiche Sache brennen. Das motiviert mich, die Rahmenbedingungen zu schaffen, dass jede*r Einzelne erfolgreich sein kann.
Wir pflegen eine sehr offene Unternehmenskultur. Es ist keine Einbahnstraße in der Kommunikation und was mir sehr am Herzen liegt: das Thema Entwicklung. Ich habe selbst immer die Chance bekommen, mich weiterzuentwickeln und an diese Tradition möchte ich für mein Team anknüpfen.
Lieber Thomas, vielen Dank für deine Zeit und die Einblicke in die gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen des Public Sectors und deine Ideen, wie die digitale Transformation der Verwaltung gelingen kann.
Das Thema OZG wird uns mit Sicherheit weiter beschäftigen. An dieser Stelle wünschen wir deinem Team und dir viel Erfolg, das OZG in der Umsetzung weiter voranzubringen, so dass dann hoffentlich die nächste Anmeldung deines Anhängers rein digital möglich ist.
Sie wollen mit Thomas über die Modernisierung Ihrer Verwaltung oder die Umsetzung einer OZG-Fachanwendung sprechen? Dann schreiben Sie ihm:
E-Mail: thomas.mueller3@fujitsu.com
Oder auf LinkedIn
Sarah Aust ist bei Fujitsu im Marketing Consulting Public Sector tätig. In ihrer Position beschäftigt und interessiert sie sich besonders für Zukunftsthemen der öffentlichen Verwaltung. Mit der Investition in neue Schlüsseltechnologien wie beispielsweise Künstliche Intelligenz, Robotic Process Automation etc. schaffen wir hier gemeinsam die Grundlage für die digitale Zukunft der Bürger*Innen.