Stehen auch Sie vor der Herausforderung, Ihre Produktion stärker an die individuellen Bedürfnisse Ihrer Kunden bzw. Abnehmer anzupassen? Walter Graf, Industrie 4.0 Evangelist und Fujitsu Distinguished Engineer, verrät uns im Interview, vor welchen Herausforderungen die Fertigungsindustrie in diesem Zusammenhang immer wieder steht – und wie man diese am besten adressiert.
Hallo Walter. Lass uns gar nicht lange um den heißen Brei reden: Um was geht es genau?
Ich möchte das anhand eines konkreten Beispiels aus der Elektronikindustrie erläutern. Nehmen wir ein Unternehmen, das bislang Boards für den Einbau in klassische IT-Systeme hergestellt hat. Im Zuge einer Markterweiterung sollen diese Boards nun auch an andere Industriekunden verkauft werden, die sehr spezielle Anforderungen haben, zum Beispiel eine höhere Resilienz gegenüber Temperatur und Feuchtigkeit. Da das Unternehmen prinzipiell weiß, wie man solche Boards baut, kann es so eine Win-Win-Situation erzeugen und seinen Absatzmarkt deutlich vergrößern. Aber: Die aktuellen Produktionslinien haben sehr lange Rüstzeiten. Sie können sich also nicht so schnell an die neuen, stärker heterogenen Anforderungen der Kunden anpassen. Das stellt das Unternehmen vor neue Herausforderungen, beispielsweise beim Durchsatz, der Maschinenauslastung oder der Qualität.
Durchsatz, Auslastung, Qualität – sind das nicht längst bekannte Themen?
In der Tat beschäftigen sich Unternehmen in der Fertigungsindustrie schon seit Jahrzehnten mit genau diesen Themen und das aufgebaute Fachwissen ist enorm. Allerdings ging es bislang vor allem um den Aspekt einer effizienten Massenfertigung. Das eben erwähnte Beispiel zeigt aber auf, dass vermeintlich schon bekannte Aspekte wie Durchsatz, Qualität, etc. eine neue Ausprägung erhalten durch eine flexiblere Adressierung der Kundenbedürfnisse in Richtung kleinerer Losgrößen. Das erfordert neue Herangehensweisen.
Kannst du uns dazu ein Beispiel nennen?
Bei der Analyse der besagten Fertigungslinie von Systemboards ist uns aufgefallen, dass es immer wieder zu Verzögerungen kam. Deren Ursache war eine Materialknappheit deutlich weiter vorne in der Linie, da man hier mit einer kostenintensiven Komponente zu vorsichtig umging. Diese Verzögerungen haben sich erst vor dem Hintergrund der zunehmenden Anzahl unterschiedlicher Boardtypen als signifikant störend herausgestellt.
Und warum hat man diesen Zusammenhang nicht schon früher erkannt?
Diese Korrelation zwischen einer Verzögerung deutlich weiter hinten in der Produktion und einer Materialknappheit weiter vorne in der Linie war hochgradig nicht trivial und auch für einen ausgewiesenen Produktionsexperten nicht zu erkennen.
Ein anderes Beispiel: Beim Testen der Elektronik-Komponenten kam es immer wieder zu Verzögerungen, die sich nicht durch fehlerhafte Produkte erklären ließen. Mit den Produkten war, bis auf wenige Ausnahmen, alles in Ordnung. Künstliche Intelligenz konnte dann aber feststellen, dass das Testequipment selbst einem Verschleiß unterlag. Deswegen kam es in vielen Fällen zu Verzögerungen, obwohl an den Produkten nichts zu bemängeln war. Die KI kann dabei sogar einen solchen verschleißbedingten Ausschuss von einem unterscheiden, der durch Fehler in den geprüften Komponenten verursacht wird.
Und hier komme ich zu zwei wichtigen Erkenntnissen. Erstens: Nur der konsequente Einsatz von modernen IT-Technologien wie z. B. Analytics und Künstlicher Intelligenz kann hier die nötigen Zusammenhänge erkennen lassen. Und zweitens: Das wiederum ist nur möglich, wenn man die Produktionslinie vollständig digitalisiert hat und somit auf einen umfangreichen Datenpool zugreifen kann.
Mal provokativ gefragt: Gilt das nur für die Elektronikindustrie?
Nein, natürlich nicht. Ich habe das Beispiel lediglich gewählt, um die Grundprinzipien näher zu erläutern. Es wird daran deutlich, wie sich flexiblere Anforderungen der Kunden auf die Produktion auswirken und wie traditionell bekannte Kenngrößen wie Durchsatz, Qualität etc. beeinflusst werden. Außerdem zeigt es, welche Problemstellungen sich ergeben, die man effektiv nur durch die Anwendung von modernen IT-Technologien wie Analytics bzw. KI und die konsequente Digitalisierung der Produktionslinie adressieren kann. IT-Technologien ermöglichen so Einblicke in die Produktion, die es vorher nicht gab. Ergänzt mit dem Wissen der jeweiligen Produktionsexperten ergeben sich so wertvolle Informationen.
Stehen viele Produktionsleiter nicht auch unter einem massiven Kostendruck?
Ja, das ist der Fall. Und gerade vor diesem Hintergrund ist der Bezug der Produktion auf die Anforderungen der Kunden bzw. Abnehmer besonders wichtig. Nur so kann man einen Zusammenhang herstellen zwischen den (neuen) Geschäftsmöglichkeiten bzw. dem damit erwarteten Umsatz- und Ergebniszuwachs und den Mitteln, die man in der Fertigung dazu in die Hand nehmen will.
Direkt damit verbunden sind zwei weitere Aspekte: Die meisten Unternehmen betreten hier technologisches Neuland. Sie sind auf die Expertise anderer angewiesen und keine der beteiligten Parteien hat das komplette Wissen bei sich. Das in den Unternehmen vorhandene Wissen zur Produktion ist dabei nach wie vor unabdingbar. Und der andere Aspekt ist die Schwierigkeit, zu einem frühen Zeitpunkt ein Projekt zu definieren, bei dem alle Schritte bis zum Schluss bereits feststehen. Co-creation und eine agile Herangehensweise an neue Projekte mit der Fähigkeit, schnelle Richtungswechsel umzusetzen, sind dann der Garant dafür, dass die Kosten im Rahmen bleiben.
Und gleichzeitig sorgt eine klare Ausrichtung einer Produktion an neue Geschäftsziele dafür, dass der finanzielle Rahmen ausreichend groß bemessen werden kann.
Wie kann Fujitsu bei all diesen Themen helfen?
Nicht zuletzt aufgrund der Unterstützung in internen Projekten in der eigenen Produktion haben wir einige Erfahrung in der Zusammenarbeit von Produktionsexperten mit Data Engineers und Data Scientists. Als IT-Unternehmen mit Fertigungs-Know-how beherrschen wir die wichtigsten IT-Technologien. Dazu gehören zum Beispiel künstliche Intelligenz und ihre Anwendung bei der Qualitätskontrolle und der Produktionsoptimierung, Job Shop Scheduling und Roboteroptimierung mit Hilfe von quanteninspirierten Technologien und einiges mehr. In jedem Fall legen wir auf eine agile und risikoarme Herangehensweise Wert und berücksichtigen bei der Architektur unserer Lösungen auch aktuelle Sicherheitsanforderungen.
Seit diesem Jahr bündeln wir zusätzlich unsere Ressourcen in einer eigens gegründeten Connected Services-Organisation, die analog einem Start-up alle wesentlichen Funktionen in einem agilen Team bündelt. Einen guten Überblick über das, was im Bereich der Connected Services möglich ist, gibt übrigens unsere Webseite.
Außerdem möchte ich auf einige Breakout Sessions hinweisen, die wir auf dem Fujitsu Forum 2019 anbieten. In den Breakout Sessions diskutieren Fujitsu Spezialisten, Kunden und Partner aus der ganzen Welt über die neusten technologischen Innovationen und tauschen sich zu ihren Erfahrungen aus. Wer also noch nicht zum Fujitsu Forum am 6. und 7. November in München angemeldet ist, sollte das auf jeden Fall noch nachholen.
Das sind unsere Manufacturing-Breakout Sessions:
Datum | Uhrzeit | Titel |
06.11.2019 | 10:00 – 10:45 | How can we transform the future of Manufacturing |
06.11.2019 | 13:00 – 13:45 | From Engine Company to Smart Technology Leader |
06.11.2019 | 13:00 – 13:45 | How to maximise productivity and flexibility with AI driven image recognition in quality control? |
07.11.2019 | 13:30 – 14:15 | The role of shop floor assistance in creating Smart Factories |
Wenn jemand direkt mit mir über seine individuellen Herausforderungen sprechen möchte: Gemeinsam mit meinem Kollegen Christof Schleidt biete ich auf dem Fujitsu Forum auch einen Expert Talk zum Thema an – „Fujitsu Connected Services – our answer to an increasingly connected world“ (Nr. 22). (Link leider nicht mehr verfügbar) Wir freuen uns schon jetzt auf viele spannende Gespräche!