Wenn moderne Fahrzeuge unterwegs sind, erfassen sie in jeder Sekunde eine Unmenge an Daten. Meistens werden diese direkt für die Sicherheit oder den Komfort der Fahrer*innen verwendet. Es fängt an zu regnen – und der Scheibenwischer geht an, genau in der richtigen Intensität. Sie sind mit Ihrer Aufmerksamkeit nicht ganz bei der Straße, fahren zu schnell zu dicht auf ein anderes Fahrzeug auf – der Wagen warnt mit einem Piepton; wenn darauf keine Reaktion erfolgt, bremst er vielleicht sogar selbstständig.
Doch was wäre, wenn wir diese Daten nicht nur für die jeweils aktuelle Situation nutzen könnten? Was, wenn sie dabei helfen würden, den Verkehr besser zu leiten oder sogar Unfälle zu vermeiden? Wie das möglich ist, war bereits vor kurzem Thema eines Blogbeitrags.
Unfälle vermeiden – mit dem Mobility Digital Twin
In einem konkreten Beispiel ging es darum, wie u.a. anhand der Sensordaten von Fahrzeugen potenzielle Unfälle erkannt und verhindert werden können, bevor sie passieren. Von diesem Wissen profitieren beispielsweise Städte, die bislang nur vorhandene Unfallschwerpunkte erfassen und diese zu entschärfen versuchen. Mit dem Digital Twin können sie nun aber auch Stellen kennenlernen, an denen Fahrzeuge zwar in Alarmbereitschaft gegangen sind, es aber am Ende zu keinem Unfall kam. So ist es möglich, die notwendigen Maßnahmen deutlich früher zu ergreifen – ohne dass zuvor jemand zu Schaden gekommen ist.
Ein ähnliches Ziel verfolgt ein Projekt, das wir in Kooperation mit unserem Partner Hexagon durchführen. Zwar werden in diesem ebenfalls „nur“ bereits passierte Unfälle als Datenbasis herangezogen. Jedoch sind die Informationen, die zu diesen Unfällen zur Verfügung stehen, deutlich detaillierter als bisher. Der Digital Twin wird dabei auch mit Informationen versorgt, die aus den Fahrzeugen selbst kommen, ergänzt durch Bilder aus Dashcams, die uns eine Versicherung für das Projekt zur Verfügung gestellt hat.
Umfassender Überblick
Dieses Material wird dann analysiert, um herauszufinden, wie, wann und wo die Unfälle passiert sind. Dadurch kann auch das „warum?“ beantwortet werden, um eventuelle Gefahrenstellen zu eliminieren und weiteren Unfällen vorzubeugen. Unter Nutzung des Geographic Information System (GIS) von Hexagon entsteht schließlich eine Karte mit den Orten, Uhrzeiten und Ursachen der Unfälle: defekte Bremsen oder Gaspedale, alkoholisierte Fahrer*innen, rutschiger Bodenbelag, ein Lenkfehler, …
Ebenfalls auf der Karte enthalten sind Echtzeit-Informationen zu Staus (in rot) und Angaben, wann und wo Car-Sharing-Fahrzeuge zur Verfügung stehen. All diese Informationen können lokalen Verwaltungen helfen, die Sicherheit ihrer Bürger*innen im Verkehr zu erhöhen und den Zugang zur Mobilität zu erleichtern. Auch Unternehmen, die Autos und Lastwagen als Teil ihrer Organisation nutzen, profitieren davon.
Mit dem Digital Twin ist es ebenfalls möglich, verschiedene Szenarien zu testen, um zu identifizieren, welche Maßnahmen, neuen Regeln und Regularien den gewünschten positiven Einfluss haben, bevor diese in Kraft treten. So lässt sich zum Beispiel ohne einen Eingriff in den realen Straßenverkehr überprüfen, ob Gebühren für die Nutzung vielbefahrener Straßen während der Hauptverkehrszeiten den gewünschten positiven Effekt haben oder nicht.
Verbindung von Technologie und Wissenschaft
Um eine andere Perspektive auf Verkehr und Transport geht es in einem weiteren Projekt zum Mobility Digital Twin. Am 1. April diesen Jahres startete in Zusammenarbeit mit dem britischen Mobilitäts-Anbieter Beryl ein Digital-Twin-Testlauf für E-Scooter Sharing Services auf der Isle of Wight. Hier läuft ein Test, welchen Einfluss es auf den CO2-Ausstoß hat, wenn die Menschen von Autos auf E-Scooter wechseln und wie Maßnahmen wie z. B. geringere Gebühren für Nutzer*innen, die die Scooter an bestimmten Plätzen abgeben, das Verhalten beeinflussen.
Die Grundlage für dieses Projekt stellen einerseits statistische Daten wie die Höhe der Bevölkerung sowie deren Zusammensetzung, aufgeteilt nach den verschiedenen Gebieten auf der Isle of Wight, dar. Andererseits sind auch Informationen über die Bewegungen von Personen zwischen den Gebieten der Insel enthalten (einschließlich des Zeitpunkts) sowie Daten über die Bewegung von E-Scootern.
Eine Besonderheit der Herangehensweise ist es, dass das verhaltensökonomische Modell der Prospect Theory mit einbezogen wird. Es besagt unter anderem, dass Menschen nicht immer die Entscheidungen treffen, die ihnen den größten unmittelbaren Nutzen bringen. Vielmehr neigen sie dazu, Verluste zu überschätzen und potenzielle Gewinne zu unterschätzen, was wiederum Auswirkungen auf ihr Handeln hat. Zusammen mit der Berücksichtigung situativer Faktoren wie des Wetters können so genauere Simulationen erstellt werden. Einbezogen werden außerdem spezifische Situationen wie die Auswirkungen von Menschenmassen, die sich nach einem Ereignis zu den umliegenden Verkehrssystemen begeben oder die Veränderung des Verhaltens nach einem Unfall, der den normalen Verkehr behindert.
Vorteile für alle Parteien
Auch hier ermöglicht die Technologie eine Vorabprüfung verschiedener Szenarien. Dazu gehört zum einen die Vorhersage der Bewegungen (Zeit, Orte, Routen) von Personen, seien es Tourist*innen oder Anwohner*innen. Zum anderen lässt sich prüfen, welche Auswirkungen Maßnahmen wie die Änderung des Standorts und der Anzahl der E-Scooter auf der Insel oder die zuvor erwähnten ermäßigten Gebühren bei der Rückgabe von Fahrzeugen an einem festen Ort haben. Die Effekte auf die Betriebskosten und die CO2-Emissionen sind dabei nur zwei der Faktoren. Das Ziel des Feldversuchs ist es, diesen Ansatz schließlich unter realen Bedingungen zu validieren und zu verifizieren.
Am Ende des Projektes sollen geschäftliche Vorteile für Beryl stehen – aber auch für die Mobilität zum Nutzen der Bewohner*innen sowie Ideen, wie die Verkehrspolitik auf der Insel beeinflusst und wie für mehr Nachhaltigkeit die Auswirkungen der Autonutzung verringert werden können. Es ist darüber hinaus geplant, den Digital Twin auf alle Arten des Transports auszuweiten, um diese in die Überlegungen einzubeziehen.
Weitere Informationen zum Mobility Digital Twin
Die unterschiedlichen Anwendungsfälle zeigen, wie vielfältig sich der Mobility Digital Twin einsetzen lässt. Er kann helfen, Hot Spots zu entschärfen, bevor sie zu Unfallschwerpunkten werden oder dabei unterstützen, aus bereits stattgefundenen Unfällen zu lernen. Er kann Aufschluss darüber geben, welche Auswirkungen es hat, mehr oder weniger E-Scooter einzusetzen oder ob attraktive Angebote mehr Menschen dazu bewegen, vom Auto auf alternative Fortbewegungsmittel umzusteigen. All das lässt sich herausfinden, ohne direkt in komplexe Systeme wie den Straßenverkehr einzugreifen. Zeigen sich in den Simulationen dann positive Effekte, können die Maßnahmen in der realen Welt umgesetzt werden – und so unser Leben besser und sicherer machen.
Weitere Informationen zum Fujitsu Mobility Digital Twin finden Sie in unserem Video auf YouTube oder auf unserer Webseite zum Thema.
Sascha Westermann ist Business Development Manager bei Fujitsu. Er interessiert sich für Mobilität, Verkehr und Transport sowie die ganzheitliche Optimierung im Bereich von Hafen- und Logistikabläufen. Privat reist er sehr gerne, um Land und Leute kennenzulernen.