"Die entscheidende Kraft eines Schiffes ist nicht der Kapitän" - Interview mit Werner Roth zu Führung und Vielfalt

Wie profitiert ein Team von Vielfalt – und wie kann eine Führungskraft diese sicherstellen? Antworten auf diese wichtigen Fragen gibt es heute im sechsten Teil unserer Rolemodel-Serie von Werner Roth, Fujitsu Distinguished Engineer und Head of Presales End User Services Presales Central Europe.

Wir haben mit ihm über seinen Weg zu Fujitsu und seine Rolle als Führungskraft gesprochen. Wie er es schafft, seine Mitarbeiter*innen zur Weiterentwicklung zu motivieren und warum es auch zu seinen Aufgaben gehört, sein Team zu schützen, verrät er im Interview.

Ein Neustart bei Fujitsu

Doris: Hallo Werner. Schön, dass Du heute Zeit für ein Gespräch hast. Erzähl uns doch mal ein bisschen etwas zu Deinem Werdegang.

Werner: Hallo Doris, sehr gerne! Ich bin jetzt über zehn Jahre bei Fujitsu. Ich hatte damals gerade meinen alten Job gekündigt und wollte mich eigentlich selbstständig machen. Während der Vorbereitungen kam die Fujitsu auf mich zu und hat mir eine Stelle angeboten. Die klang so interessant, dass ich mir das Ganze einmal angesehen habe. Um ehrlich zu sein: Ich war vor allem von der sehr wertschätzenden Firmenkultur überrascht. Ich ändere gerne Dinge, verbessere sie und mache sie effizienter, um Arbeit attraktiver zu gestalten. Damit ecke ich vielleicht auch mal an. In anderen Unternehmen war es so, dass man mir zwar gerne die komplizierten Sachen gab – aber so richtig weiter ging es für mich dort nie. Bei Fujitsu war das dann völlig anders.

Doris: Dein Treiber ist also vor allem die Lust auf Neues, der Wunsch nach Veränderung und Verbesserung und das Streben nach Effizienz?

Werner: Klar, es geht auch um Strukturen und Methoden. Aber am Ende geht es eigentlich immer um die Kultur, dass man die Leute auf eine Reise mitnimmt. Dafür braucht man den Willen zur Veränderung, aber auch die leuchtenden Augen von allen. Dazu muss das Team mit eingebunden werden. Ich bin ja nicht schlauer als andere. Ich bin vielleicht der, der eine Vision vom Ziel hat – aber die Leute machen tagtäglich ihre Jobs und wissen am besten, wo Verbesserungspotential besteht.

Leichteres Lernen in diversen Teams

Doris: Du hast gerade schon ein wichtiges Stichwort genannt: es geht Dir um die Kultur. Wir sprechen heute ja auch miteinander, weil Du sehr erfolgreich mit Deinem vielfältigen Team bist. Was hast Du dafür getan?

Werner: Nehmen wir zum Beispiel mal das Lernen. Das geht in diversen Gruppen leichter als in homogenen – eine Tatsache, die ich spannend finde und die ich mir gerne zunutze mache. So haben wir in unser Beratungsteam jetzt eine Trainee aufgenommen, die erste in der Geschichte unserer Presales Consultants, soweit ich weiß. Normalerweise haben klassische Presales Consultants schon graue Haare … Und was passiert? Unsere Trainee zieht bei neuen Themen oft die anderen mit, schiebt an und überzeugt. Alle haben gelernt, dass jeder von ihnen eine besonders starke Seite hat und diese nutzen sie auch. Unser Miteinander basiert generell auf Gegenseitigkeit: Ich bekomme etwas, weiß aber auch, dass ich dafür etwas zurückgeben muss.

Ein großer Treiber für uns alle ist es auch, dass wir sehr stark leistungsorientiert sind und immer die ersten und besten sein wollen. Das zeigt sich auch in meiner Arbeit. Denn wenn du der erste bist, kannst du die Strukturen vorgeben und die anderen müssen entweder die gleiche Geschwindigkeit laufen – oder sich später anpassen. Deswegen bin ich immer gerne ganz vorne mit dabei.

Doris: Und die anderen sind dann nicht genervt?

Werner: Eher selten. Die meisten Menschen nehmen Strukturen gerne an, weil es ja auch aufwändig ist, darüber nachzudenken. Wir helfen auch gerne in unserer Community, arbeiten viel mit Nachbarteams zusammen und unterstützen dort.

Vielfalt heißt: Niemand muss sich verbiegen

Doris: Glaubst Du, dass zu diesem großartigen Miteinander und dem Zusammenhalt in Deinem Team auch die Vielfalt beigetragen hat?

Werner: Absolut. Nehmen wir plakativ mal introvertiertere, technisch sehr versierte Kolleg*innen, die nicht so gerne mit Kund*innen in den Austausch gehen. Wenn diese kommunikative Kolleg*innen an die Seite gestellt bekommen, die auch Konflikte aushalten und vermitteln können, dann funktioniert das – und zwar vom ersten Tag an. Ohne dass sich jemand verbiegen muss. Ich unterstütze und fördere gerne dabei, neues zu lernen. Aber es ist eben kein MUSS. Wenn sich Menschen gegenseitig ergänzen, ist zum einen das Lernen viel leichter. Zum anderen entstehen da aber auch wirkliche Freundschaften. Und es ist auch für das Thema Selbstorganisation wichtig. Als Manager mache ich mich dadurch nicht obsolet, nur meine Aufgaben sind andere. Je seltener ich gebraucht werde, desto mehr Raum besteht für neue Ideen.

Viel Eigenverantwortung – aber mit Rückhalt

Doris: Du hast es gerade schon gesagt: die Aufgaben von Führungskräften sind im Wandel. Was machst Du jetzt mehr als früher?

Werner: Ein wichtiger Teil meiner Rolle ist es, Schutz auszuüben. Auch wenn Du ein Team hast, das selbst aktiv Lösungen sucht, kann es trotzdem vorkommen, dass jemand von außen eingreifen will. Als Führungskraft muss ich da vermitteln. Das ist mal einfacher und mal schwieriger. Es kommt leider ab und zu vor, dass eskaliert wird oder ich gar deutlich den Unmut des Außenstehenden zu spüren bekomme. Das muss ich dann für meine Mitarbeiter*innen aushalten. Meistens bekommen wir im Nachgang auch absolut positives Feedback. Die meisten verstehen, dass ihr übergriffiges Handeln nicht sinnvoll war.

Dass unser Weg für uns gut funktioniert zeigt auch die Tatsache, dass wir jetzt locker die doppelte Leistung im Vergleich zu vor vier Jahren aufweisen können. Wenn dann jemand mit einer „Command and Conquer“-Denkweise oder Mikromanagement auf uns zukommt, tue ich mich schwer. Oftmals liegt das aber auch einfach an fehlender Erfahrung – diese Menschen haben noch nichts anderes kennengelernt.

Doris: Was würdest Du da raten?

Werner: Es ist wichtig, dass wir Mitarbeiter*innen einen Vertrauensvorschuss geben und sie mit Begeisterung an ihren Aufgaben arbeiten können. Wenn sie sich selbst an neue Themen heranwagen können und dürfen, sind sie einfach erfolgreicher. Und da komme ich als Führungskraft wieder ins Spiel. Manchmal übernimmt sich ein Teammitglied und macht mehr, als es eigentlich leisten kann. Wenn es an seine Grenzen stößt, komme ich dazu und wir schauen gemeinsam, was hilfreich wäre und wie aus der Situation eine Lernerfahrung wird. Das finde ich wunderbar, weil ich so als Führungskraft echte Entwicklung unterstützen kann. Besser als jedes Skills-Training.

Den passenden „first Penguin“ finden

Doris: Lass uns noch einmal auf das Thema Vielfalt zurückkommen. Du hast mir früher einmal erzählt, dass du mehr Frauen in deinem Team haben wolltest – und das auch recht erfolgreich umgesetzt hast. Wie ist das gelaufen? Was hast du getan?

Werner: Als ich das Team übernommen habe, hatten wir eine einzige Beraterin. Als diese uns dann verließ, war für mich der Moment gekommen mich zu fragen: warum haben wir eigentlich keine Frauen mehr dabei? Ausgehend von meiner Erfahrung, auch in anderen Unternehmen, gibt es generell nur wenige Frauen in der IT-Beratung, vielleicht eine von 100 Bewerbungen. Aber auch das haben wir gelöst: Von fünf offenen Stellen haben wir vier mit Frauen besetzt.

Die Förderung von Frauen ist das eine. Aber ich sehe generell immer zu, dass ich bunte Leute einstelle. Menschen, die irgendwie anders sind. Das ist nicht ganz einfach, weil ich natürlich niemanden einstellen will, den die anderen am Ende nicht akzeptieren. Das heißt für mich, dass der Bewerbungsprozess intensiver wird und ich gezielt überlege, welchen Mehrwert er oder sie für das Team bringen kann, welche Fähigkeiten noch fehlen usw. Das kann zum Beispiel ein „first Penguin“ sein – einer, der als erstes ins Wasser hüpft und testet, ob es gefährlich ist oder nicht. Die weiteren Pinguine folgen ihm dann, wenn sie sehen, dass alles in Ordnung ist. Im Bewerbungsgespräch muss ich dazu herausfinden: Ist das jemand, dem wir hinterherspringen wollen?

Ich habe bisher aber äußerst positive Erfahrungen gemacht, bei uns hat es jedes Mal gepasst. Auch wenn es manchmal ein wenig gedauert hat, bis das neue Team wieder völlig zusammengewachsen ist – der Aufwand lohnt sich.

Vielfalt und gegenseitige Hilfe

Doris: Naja – es hat auch keiner behauptet, dass der Mehrwert von Vielfalt immer leicht zu ernten ist.

Werner: Ja, da gehört schon ein bisschen was dazu. Ich will ja auch nicht wie ein Lehrer auftreten, sondern mich ins Team integrieren. Dazu gehört, dass jede*r zu wechselnden Aufgaben und Zeiten einmal die Verantwortung übernimmt. Ich schaffe die Rahmenbedingungen, die es dazu braucht, bin dabei aber so unsichtbar wie möglich. Ganz raus bin ich aber nie.

Doris: Für den Fall, dass deine Unterstützung gebraucht wird?

Werner: Ja klar. Ich hatte jetzt zur Corona-Zeit zunächst große Bedenken, weil unsere Strukturen so sehr auf gegenseitiger Hilfe aufbauen. Manche unserer Kolleg*innen waren durch den Spagat zwischen Arbeit, Familie und anderen Herausforderungen so belastet, dass ich mir nicht sicher war, ob wir das so aufrechterhalten können. Aber es hat funktioniert, alle waren weiterhin füreinander da. Ich bin gerade zum Beispiel sehr stolz darauf, dass sich drei meiner vier Mitarbeiterinnen weiterentwickeln wollen. Bei den männlichen Mitarbeitern ist das eher üblich. Kaum haben sie einen Schritt gemacht, kommt die Frage: „Wann machen wir den nächsten?“ Die Frauen waren da eher zurückhaltender. Ich habe versucht, sie so zu unterstützen, dass sich das ändert.

Jeder kann etwas beitragen

Doris: Was hast du getan, um die Mitarbeiterinnen zu bestärken?

Werner: Manchmal hat man Mitarbeitende, die sich etwas nicht zutrauen. Sie glauben, dass andere für eine Aufgabe besser geeignet sind. Das kann durchaus sein, aber es gibt immer etwas, wo auch ein Anfänger etwas beitragen kann. Ich unterstütze dann bei der Reflexion. Wenn sie sehen, dass sie doch einen wertvollen Beitrag leisten konnten, wächst natürlich der Stolz und es beflügelt.

Das ist besonders dann der Fall, wenn das ganze Team auf einmal mitläuft. Wir setzen bei uns auf Agilität, davor auch auf Lean – für mich geht das Hand in Hand. Immer wenn wir uns etwas überlegen, um effizienter zu werden, wollen alle einen Beitrag leisten. So entsteht oft der Drang, sich selbst weiterzuentwickeln, Karriere zu machen, voran zu gehen.

Ein gutes Team besteht nicht nur aus der Führungskraft

Doris: Hast du abschließend noch einen Tipp für andere Führungskräfte in Sachen Vielfalt?

Werner: Die Frage wird mir oft gestellt. Wir sind als Team bei den Mitarbeitenden-Befragungen immer ganz vorne dabei, das sorgt natürlich für ein großes Interesse. Die Frage, die oft gestellt wird, ist: „Wie macht der das?“ Eigentlich ist diese Denkweise aber falsch. Die entscheidende Kraft eines Schiffes ist nicht der Kapitän – sondern die gesamte Mannschaft.

Generell kann man sagen: Es ist ein langer, anstrengender Weg – aber er lohnt sich. Ich rate jedem, einfach loszulegen und sich Unterstützung zu holen, wo es nur geht. Wir helfen auch immer wieder gerne und bauen gerade einen internen Coach-Pool auf. Wir unterstützen dabei als Coach individuell Führungskräfte, aber auch ganze Teams. Und das nicht nur in den Anfängen. Ich finde es eigentlich viel interessanter, nicht nur bei Version 1.0 zu helfen. Sondern an dem Punkt, an dem Version 3.0 wieder zu scheitern droht. Gerade dann kann ein Coach wirklich hilfreich sein.

Vielen Dank für das Gespräch, Werner!