Digitalisierungs-Boom in der Finanzbranche

Bild (Bank Austria Veranstaltungszentrum in Wien) von links: Werner Schediwy, Dr. Jochen Zöschg, Wilhelm Petersmann, Michael Wiedeck, Dr. Walter Mösenbacher, Robert Sobotka, Zugeschaltet: Steffen Müter

Vor knapp sechs Monaten haben wir einen Blick zurück auf 2020 geworfen – auch für die Finanzbranche ein turbulentes Jahr. Die Gewohnheiten der Kund*innen veränderten sich so stark wie kaum zuvor. Plötzlich wurde alles, was möglich war, ins Digitale verlegt. Auf diese Herausforderung mussten Banken und Versicherungen schnell reagieren.

Natürlich kam auch der Blick in die Zukunft nicht zu kurz. Dieser versprach: Es bleibt spannend. Und nicht nur deswegen haben wir immer ein Auge (oder auch zwei) auf die neusten Entwicklungen in der Finanzbranche. Diese teilen wir zum Beispiel in unserer LinkedIn-Gruppe „Digital Finance Insights“ mit Ihnen.

Sorgt die Post-Corona-Phase für einen Boom?

Am 15. Juni fand das Online-Forum des Finanz-Marketing-Verbandes Österreich (FMVÖ) statt. Die gemeinsame Veranstaltung von Fujitsu und dem FMVÖ beschäftigte sich mit der Corona-Pandemie und ihren Auswirkungen: „Sorgt die Post-Corona-Phase für einen Boom für die Digitalisierung in der Finanzbranche?“ Vor Ort diskutierte Wilhelm Petersmann, Geschäftsführer Fujitsu Österreich und Schweiz, Head of Financial Services Central Europe, im Bank Austria Veranstaltungszentrum in Wien mit weiteren Experten. Steffen Müter, Head of Service Central & Eastern Europe und Geschäftsführer der Fujitsu TDS GmbH, war virtuell zugeschaltet.

Nach der Begrüßung durch den FMVÖ-Präsidenten Erich Mayer standen schnell essenzielle Fragen im Fokus: Wie hat sich der Arbeitsalltag in der Branche verändert? Gab es einen digitalen Boom? Welche Bereiche waren besonders betroffen? Was bleibt dauerhaft erhalten? Wie sieht die digitale Zukunft der Kundenbeziehung aus?

Antworten darauf gibt es in einer aktuellen FMVÖ-Studie mit dem Titel „Wert der Veränderung„, deren zentrale Ergebnisse zu Beginn des Online-Forums vorgestellt wurden. Die 30 Experteninterviews mit Persönlichkeiten aus der Finanzbranche, die als Grundlage geführt wurden, drehten sich um Veränderungen in der Arbeitswelt (Büro vs. Homeoffice, klassische vs. Video-Meetings), aber auch um die Digitalisierung von internen Prozessen oder der Kundenkommunikation.

Podiumsdiskussion mit führenden Experten

Den Hauptteil der Veranstaltung bildete dann die im Anschluss stattfindende Diskussion des Podiums zur digitalen Zukunft der Branche. Neben Wilhelm Petersmann und Steffen Müter waren Dr. Walter Mösenbacher, FINTECHCIRCLE London – Ambassador, Dr. Jochen Zöschg, Vorstandsmitglied Zürich Versicherungs-Aktiengesellschaft, und Ing. Michael Wiedeck, Chief Sales Officer, bank99 AG, Mitglieder der Runde. MMag. Robert Sobotka, Geschäftsführer von Telemark Marketing übernahm die Moderation.

Im Rahmen dieser Runde aus führenden Experten der Banken- und Finanzbranche kamen einige spannende Fragen auf, die wir an dieser Stelle leider nur auszugsweise aufgreifen können. So befasste sich Michael Wiedeck mit der Zukunft von Filialen und der Überlegung, ob mittlerweile nicht vieles „in Selbstbedienung“ und „online“ stattfinden kann.

Die Zukunft von Filialen

Tatsächlich ist in den letzten Jahren bei vielen Instituten eine Straffung des Filialnetzes zu beobachten. Die Form der Kundenbetreuung ändert sich, immer mehr Prozesse werden digitalisiert. Die persönliche Kundenberatung bleibt jedoch weiterhin ein wichtiger Aspekt und ein starkes Bedürfnis der Kund*innen. Finanzinstitute haben so die Möglichkeit, sich über die persönliche Betreuung zu differenzieren. Dabei ist es wichtig, die Balance zwischen individuellem Dialog und standardisierten digitalen Prozessen zu finden.

Bisher resultiert aus diesem Versuch oftmals eine Zwischenlösung. Standorte bleiben bestehen, werden aber ohne Personal weiter betrieben. Modernere Konzepte hingegen tragen den gestiegenen Ansprüchen Rechnung, indem sie zum Beispiel Customer Onboarding in einer voll digitalisierten Form durchführen – wie bei der LA CAIXA-Bank in Spanien. Diese ermöglicht es ihren Kund*innen, via Bankomat neue Konten zu eröffnen oder Hypotheken zu beantragen. Auch hybride Lösungen aus digitalen Prozessschritten und der persönlichen Ansprache in Videokonferenzen sind denkbar. Für die Beantragung eines Kredits ist auch der Einsatz von Robotic Process Automation (RPA) eine Option. Was das bedeutet, fasst Wilhelm Petersmann zusammen:

„Sehr oft überlegen sich Kunden außerhalb der Bürozeiten, ob sie einen Kredit beantragen wollen. Mit einem automatisierten End-to-End-Prozess, der mit Einsatz von künstlicher Intelligenz ohne Mitwirkung eines Sachbearbeiters abläuft, bieten Finanzinstitute ihren Kunden quasi rund um die Uhr die Möglichkeit, Kreditverträge rasch abzuschließen.“

Erfolgreiche IT-Projekte in der Finanzbranche

Eine Frage, die während der Podiumsdiskussion direkt an Wilhelm Petersmann gerichtet wurde, war die, ob es einen spürbaren Boom an IT-Projekten in der Finanzbranche gab, ausgelöst durch die Pandemie. Und generell: Wie kann die IT-Branche die Digitalisierung die Branche unterstützen?

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Seine Antwort war eindeutig: „Wir haben Kunden, welche ihr Projektportfolio komplett umgekrempelt haben. Ein Kunde hat zum Beispiel von 119 Veränderungsprojekten auf 29 Vorhaben reduziert. Und raten Sie, welche Projekte übrig geblieben sind: Fast alle hatten mit Automatisierung, Digitalisierung und Kostenoptimierung zu tun.

Neben diesen Einsparungen oder Verschiebungen von Projekten gäbe es aber auch viele Kund*innen, die explizit neue Digitalisierungsprojekte ins Leben rufen. Den größten Erfolg hätten dabei die Digitalisierungsvorhaben, die in der Umsetzung sowohl Vertreter*innen aus dem Business als auch welche aus der IT im Projektteam vereinen. In den meisten Fällen kommen darüber hinaus zusätzliche Berater hinzu. Fujitsu unterstützt diese Teams dann zum Beispiel mit Co-creation Workshops, in denen mit einer gut strukturierten Methode („Activ8“) und einem agilen Ansatz in kurzen Sprints rasch umsetzbare Ergebnisse entstehen.

Schritt für Schritt in die Digitalisierung

Generell, so Petersmann, seien die Digitalisierung von Prozessen, der „Modern Workplace“ und die effiziente Bewirtschaftung von hybriden IT-Umgebungen erst der Anfang. Noch wichtiger wird für die Unternehmen eigentlich die Erkenntnis, dass sie nach diesen ersten kleinen Schritten weitere, deutlich größere gehen müssen. Diese umfassen dann die Digitalisierung von Produkten und die Schaffung von unternehmensübergreifenden Ökosystemen. Ein Beispiel sind neue Formen der Mobilität:

„Stellen Sie sich vor, Sie bedienen Kunden, die ein Elektro-Car-Sharing benutzen. Sie können Vorgänge wie die Aufnahme des Kunden sowie seine Identifikation, die Freischaltung der Autos und die Bezahlung der Aufladung mit einer Blockchain-Lösung betrugssicher automatisieren. Außerdem können Sie mit IoT und Sensoren exakt für die gefahrenen Strecken Versicherungen anbieten. Diese beziehen dann neben der gefahrenen Strecke das Fahrverhalten, die Witterung und vieles mehr ein“.

Manches davon mag heute noch nach Zukunftsmusik klingen. Doch viele Unternehmen machen bereits erste Schritte in diese Richtung.

Die Auswirkungen der Covid-Pandemie in Asien

Abgerundet wurde der Online-Event schließlich durch einen Blick nach Asien. Dort werden die langfristigen Auswirkungen der Covid-Pandemie auf die Finanzwirtschaft bereits sichtbar. Dr. Martin Schulz, Chef-Volkswirt von Fujitsu, wurde dazu live aus Japan zugeschaltet und berichtete über die neuesten Entwicklungen.

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Die von ihm beobachteten Veränderungen im Homeoffice sind auch hierzulande bereits bemerkbar. Wilhelm Petersmann: „Das Büro hat seinen Charakter verändert. Es dient nicht mehr primär für Schreibtischarbeit. Moderne Post-Covid-Büro-Layouts haben kaum mehr Einzelbüros und überhaupt wesentlich weniger Schreibtisch-Arbeitsplätze. Die meisten Unternehmen wenden heute bei den Arbeitsplätzen ein Desk Sharing Konzept an. Der größere Teil der Büroflächen wird als Begegnungszonen und zur Kreativarbeit genutzt.“

Solche Veränderungen stellen natürlich auch die IT-Abteilungen vor Herausforderungen. Besonders die Anforderungen an Datensicherheit und Security sind für Finanzinstitute hoch. Es werden außerdem neue Tools benötigt, welche die Teamarbeit über viele Standorte hinweg fördern. Nachvollziehbare und von Legal und Compliance akzeptierte digitale Verfahren müssen etabliert werden, Daten und Applikationen müssen rund um die Uhr und überall den berechtigten Benutzern zur Verfügung stehen. Unternehmen, welche diese flexiblen, modernen Arbeitsformen nicht anbieten, werden es in Zukunft wohl eher schwer haben, neue Talente zu rekrutieren.

Das Online-Forum FMVÖ: ein Fazit

Nach einer kurzen Diskussion, was wir aus europäischer Sicht von den Entwicklungen in Asien lernen können, neigte sich das Online-Forum mit der Beantwortung von Zuschauerfragen seinem Ende zu.

Zum Schluss stand noch einmal die wohl zentralste Frage des Events im Fokus: Welche Veränderungen werden dauerhafte Auswirkungen haben? Was bleibt? Wilhelm Petersmann sieht eine eindeutige Richtung: „Finanzdienstleister müssen digitale Services anbieten, um sich im Wettbewerb Vorteile zu sichern. Sie sind gezwungen, Geschäftsmodelle anzupassen und neue Wege der Kunden-Interaktion zu finden. Dabei geht es beispielsweise um die Automatisierung von Geschäftsabläufen mittels Robotic Process Automation. Diese Entwicklung ist durch die Covid-19-Situation verstärkt worden. Die IT-Branche kann die Finanzbranche bei dieser Aufgabe unterstützen.

Weitere Informationen

Möchten Sie mehr zu den Themen erfahren? Dann empfehlen wir Ihnen die Aufzeichnung des Events, die Sie hier ansehen können. Wenn Sie mit weiteren Expert*innen über die Themen diskutieren wollen, die Sie bewegen, treten Sie doch unserer LinkedIn-Gruppe „Digital Finance Insights“ bei. Wir freuen uns auf Sie!