Wann haben Sie zuletzt über die Industrie 4.0 gesprochen? Ob Mittelständler oder Global Player – an diesem Begriff kommt kein Unternehmen mehr vorbei. Die Technologien hinter der Bezeichnung für den digitalen Wandel unserer Marktwirtschaft entwickeln sich rasant zur grundlegenden Säule erfolgreicher Businessstrategien. Im Interview mit Frank Zedler, Principal Consultant bei Fujitsu, konnten Sie bereits einiges über grundsätzliche Inhalte und Themen der Industrie 4.0 erfahren. Was aber sind die konkreten Herausforderungen und Chancen eines Umbruchs, der bereits heute als 4. industrielle Revolution gilt? Andreas Rohnfelder, Head of Industry 4.0 Competence Center erklärt Ihnen in diesem Interview die zentralsten Aufgaben für Unternehmen auf dem Weg in die digitale Zukunft.
Hallo Herr Rohnfelder, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview nehmen. Industrie 4.0 erfährt im Moment einen unglaublichen Aufschwung. Woher kommt Ihrer Meinung nach gerade jetzt der Boom?
Hier kommen aus meiner Sicht mehrere Faktoren zusammen, die sich unter dem Begriff „Digital Transformation“ abbilden lassen.
Die Anzahl der global gespeicherten Daten wird laut einer Studie von IDC auf einen Wert von 160 Zetabyte im Jahr 2025 steigen. Das sind kaum vorstellbare 160 * 10 hoch 21 Bytes, die den Datenberg der Welt verglichen mit dem Jahr 2015 um den Faktor 10 wachsen lassen. Das Internet of Things (IoT) ist dabei der wesentliche Treiber des weltweiten Datenwachstums.
Schon letztes Jahr hat laut einer PAC-Studie das Thema Industrial IoT über die Hälfte des IoT-bezogenen IT-Markts in West-Europa ausgemacht. Gleichzeitig findet ein massiver Wechsel von einer reinen Datensammlung hin zu einer Optimierung oder kompletten Änderung der Business Modelle durch diese Daten statt. Digitale Transformation bedeutet in diesem Zusammenhang also nicht, ein Produkt oder eine Komponente davon mit zum Beispiel einem RFID Chip auszustatten. Es geht um die die komplette Digitalisierung des Herstellungsprozesses, um eine weitestgehend selbstorganisierende Produktion zu erhalten. Wie Dr. Rolf Werner in der Pressemitteilung zur Fujitsu World Tour darlegte: Lag vor Kurzem noch der Fokus auf der Implementierung von Technologielösungen, diskutieren wir inzwischen darüber, gesamte Geschäftsbereiche zu verbinden, umzustellen oder einzubetten.
Was genau steckt eigentlich hinter dem Schlagwort Industrie 4.0?
Der Begriff ‚Industrie 4.0‘ existiert seit der Hannover Messe Industrie 2011. Nach den bisherigen industriellen Revolutionen stellt Industrie 4.0 die Erweiterung der industriellen Digitalisierung auf IoT in der Produktion dar.
- Mechanisierung durch Dampfkraft
- Massenfertigung durch Elektrizität & Fließbänder
- Automatisierung durch Elektronik & IT
- Vollständige Digitalisierung der Industrie durch IoT
Die technische Voraussetzung dafür sind intelligente und digital vernetzte Systeme, mit deren Hilfe eine weitestgehend selbstorganisierte Produktion möglich werden soll: Menschen, Maschinen, Anlagen, Logistik und Produkte kommunizieren und kooperieren in der Industrie 4.0 direkt miteinander.
Lassen Sie es mich an drei Beispielen zeigen:
- Flexibilität:
Unternehmen können Produkte nach individuellen Kundenwünschen herstellen. Der entscheidende Faktor hierbei ist, dass eine solche Produktion bis runter zur Losgröße 1 zu ähnlichen Kosten wie eine übliche Massenproduktion stattfinden kann. Und diese Art der individuellen Produktion muss nahe beim Kunden stattfinden. - Planbarkeit:
Smart Services erhöhen den Value Add eines Produktes. Über Predictive Maintenance Ansätze erkennt z.B. ein Hersteller von Pumpen, dass eine bestimmte Pumpe beim Kunden in den nächsten 2 Wochen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ausfallen wird. Der Austausch kann dann gezielt zu Zeiten geringer Pumpentätigkeit erfolgen. - Zuverlässigkeit:
Eine weitere Option ist die Verlagerung des Produkt-Leistungsrisikos vom Endanwender auf den Hersteller: Garantierte Zusagen über die Einhaltung der Pumpeffektivität wären dann möglich. Für den Hersteller der Pumpen würde sich daraus auch die mögliche Option ergeben, sein Businessmodell von einem Produktanbieter zu einem Serviceanbieter zu ändern.
Fujitsu ist Mitglied der Plattform Industrie 4.0, die im Dialog mit Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Gewerkschaften und Verbänden ein einheitliches Gesamtverständnis von der Industrie 4.0 entwickelt, Handlungsempfehlungen für einen erfolgreichen Übergang zur Industrie 4.0 erarbeitet und anhand von Anwendungsbeispielen aufzeigt, wie die Digitalisierung der industriellen Produktion in Unternehmen erfolgreich umgesetzt wird.
Mit welchem Ziel startete das Industry 4.0 Competence Center im Juni diesen Jahres? Spielt auch die „Antwort“ auf den Boom eine Rolle?
Das Ziel ist es, die digitalen Transformationsprojekte der CE- und europäischen Manufacturing Kunden massiv zu stärken. (Anm. d. Red: CE = Central Europe, umfasst Deutschland, Österreich und die Schweiz). CE ist dabei der führende Industrie 4.0-Markt in Europa. Daher fokussieren wir uns im ersten Schritt darauf, ihn analytisch zu betrachten, sind aber auch bereits in Projekten außerhalb von CE involviert. Hierzu sind im Industry 4.0 Competence Center die Kompetenzen im Bereich des industriellen IoT gebündelt.
Wo liegen die Kernkompetenzen des neuen Centers?
Neben dem übergreifenden Industrie 4.0 Consulting Ansatz fokussieren wir uns momentan auf 3 wesentliche Schwerpunkte bzgl. Beratungsangeboten und den passenden Lösungen.
- Collaborative Engineering
- Edge Computing & IoT
- Industrial Analytics
Die Fujitsu Engineering Cloud ™ -Architektur und -Technologie bilden die Grundlage für Collaborative Engineering mit hoher Datensicherheit und Kontinuität. Edge Computing & IoT beinhalten unter anderem Asset Tracking & Tracing sowie Supply Chain Transparency. Durch die Nutzung von Industrial Analytics ist es möglich, eventuelle Fehler in Anlagen und Maschinen frühzeitig zu erkennen und zu verhindern.
In dem Zusammenhang würde ich gerne einen weiteren Punkt anbringen: Zwischen dem Competence Center Industry 4.0 und dem Fujitsu Werk in Augsburg gibt es eine enge Zusammenarbeit, die wir weiter intensivieren. Als Fujitsu sprechen wir nicht nur über Industrie 4.0, wir sind selbst Manufacturer mit einem hochmodernen Fabrikationsstandort.
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Wie profitiert der Kunde vom Industry 4.0 Competency Center?
Der Wechsel von Industrie 3.0 zu Industrie 4.0 ist kein Prozess, der in wenigen Monaten umgesetzt ist. Mit all den Möglichkeiten, die eine Industrie 4.0 basierte Produktion bietet, bedeutet es auch, dass dies ein evolutionärer Weg ist. Neben entsprechenden Industrie 4.0 Consulting Leistungen fokussiert sich das Kompetenzcenter auf Schritte Richtung Industrie 4.0, die einen unmittelbaren Return on Invest für den Kunden bieten. Wesentliche Ansätze hierbei sind Co-Creation mit dem Kunden und Proof of Concepts.
Vor kurzem veröffentlichte die CXP Group Company PAC eine brandaktuelle Studie im Bezug auf die deutsche Fertigungsindustrie. Lassen Sie uns kurz einen Moment darauf eingehen. Die Studie sagt aus, dass Digitalisierung eine wichtige Rolle spielt, aber klare Strategien gibt es auf weiten Feldern noch nicht. Wo liegen Ihrer Meinung nach die größten Hindernisse?
Lassen Sie mich zuerst ein paar Ergebnisse aus der Studie nennen: Für 83% der Befragten ist die digitale Transformation für ihr zukünftiges Geschäftsmodell von hoher Relevanz und steht daher bei 50% auf der Vorstandsagenda. Gleichzeitig sagt nur circa ein Drittel, dass die Digitalisierungsstrategie feststeht und es einen entsprechenden Fahrplan gibt. In anderen Worten: Man erkennt sehr klar die Relevanz aber die konkrete Umsetzung ist noch nicht hinreichend definiert.
Die größten Hindernisse liegen in fehlenden IT Ressourcen und Skills. Co-Creation von Lösungen bietet hier hervorragende Ansätze.
Warum stehen laut der Studie vor allem kleine und mittelständische Unternehmen im Bezug auf die digitale Transformation hinten an?
Laut der Studie haben größere Unternehmen einen Erfahrungsvorsprung, eine klarere Strategie und das Thema ist häufiger auf Vorstandsebene verankert. Ich persönlich würde es aber nicht so digital sehen. Gerade in Deutschland ist der Mittelstandsmarkt ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Zirka die Hälfte der sogenannten Hidden Champions weltweit kommt aus Deutschland. Hidden Champions haben sich erfolgreich auf ein Produktsegment fokussiert und sind dort unter den Top 3 weltweit. Diese Unternehmen sind oftmals inhabergeführt und haben sich eine langanhaltende Marktführerschaft erarbeitet. Aus den Gesprächen mit diesen Firmen wissen wir, dass das Thema Digital Transformation dort angekommen ist.
Was brauchen wir Ihrer Meinung nach, um den Weg in eine digitale Welt erfolgreich zu bestreiten?
Ein Unterschied zwischen den ersten drei industriellen Revolutionen und der Industrie 4.0 ist, dass bei ersteren der Begriff Industrielle Revolution im Nachhinein festgelegt wurde. Bei Industrie 4.0 sprechen wir quasi vorausschauend von der 4. Industriellen Revolution. Wir stehen am Anfang und befinden uns doch bereits mitten in der nächsten revolutionären Umwälzung im Umfeld Manufacturing. Für mich ist ein wesentlicher Punkt, dass dieser Prozess eine Chance für alle darstellt, die diese Herausforderung positiv annehmen.
Hersteller von Produkten haben die Möglichkeit durch Industrial IoT, Smart Services und Predictive Maintenance, ihre Fertigung auf Losgröße 1 zu vergleichbaren Kosten einer klassischen Massenproduktion zu erweitern oder neue Business-Modelle zu erschließen.
Wir möchten die Gelegenheit ergreifen, diesen Weg gemeinsam mit den Herstellern auf Basis einer fruchtbaren Co-creation zu gehen.