Johannes_SchönigerWie oft am Tag senden Sie über Facebook Ihren Standort, planen einen Ausflug mit Hilfe von Google Maps & Co oder nutzen eine App auf Ihrem Smartphone, in der eine Karte eingebunden ist, zum Beispiel ausgesuchte Lokale in Ihrem Umfeld? Jeder von uns nutzt Geodaten, jeden Tag und oft sogar unbewusst. Wie viel hinter dieser Schlüsseltechnologie wirklich steckt, verrät uns Johannes Schöniger, Strategic Account Director Geoinformationen Deutschland, Fujitsu, in einem Interview. Im ersten Teil dieser Reihe sprechen wir über die beeindruckende Vielfältigkeit, die sich hinter dem für manche auf den ersten Blick unscheinbaren Wort „Geoinformation“ verbergen. Johannes Schöniger verrät uns, warum in unserer Gesellschaft ohne diese Informationen vieles nicht mehr funktionieren und wieso dieses Thema uns alle betrifft. Unser Kollege nimmt Sie mit auf eine Reise in die Welt der Geoinformationen und in eine Zukunft, die ohne diese Informationen ganz anders aussehen würde.

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Hallo Herr Schöniger, vielen Dank, dass Sie sich Zeit für dieses Interview genommen haben. Wenn Sie Ihr Fachgebiet kurz und bündig zusammenfassen: Was können und was bedeuten Geoinformationen in der IT-Welt?

Geoinformation ist der Rohstoff der digitalisierten Gesellschaft und darüber hinaus der Grundpfeiler staatlicher und privater Meinungsbildung, des Handelns und der Entscheidungen. Als Querschnittsthema betrifft es uns alle. Viele von uns nutzen bewusst und unbewusst ständig digitale Geoinformationen, ohne sie würde vieles in unserer Gesellschaft nicht mehr funktionieren. Außerdem halte ich Geoinformationen für einen überdurchschnittlichen Wachstumsmarkt und eine strategische Zukunftsbranche mit immer mehr und neuen Stakeholdern, Nutzern sowie Einsatzszenarien. Geoinformationen sind eben ein fester Bestandteil der heutigen digitalisierten Gesellschaft.
Sie können komplexe Zusammenhänge schnell, transparent und verständlich darlegen und (noch) unbekannte Sachverhalte offenlegen. Wir gewinnen durch Geoinformationen einen anderen Blick auf Ereignisse und Phänomene, die wir ohne sie nicht hätten. Geodaten sind der Rohstoff des 21. Jahrhundert und Grundlage der Informations-, Wissens- und Bürgergesellschaft.  

Können Sie uns ein Beispiel aus den eben aufgezeigten Nutzungszenarien geben?

Diese erweitern und aktualisieren sich ständig. Mobilität (zum Beispiel die Verkehrsinfrastruktur, – Instandsetzung, Planung und Steuerung), Smart City, Smart Farming, Energieversorgung und -wende, Demografie und Bevölkerungsschutz – diese aktuellen Themen stellen nur einen kleinen Auszug der Nutzungszenarien dar und beziehen Geoinformationen aktiv mit ein. Mit ihrer Hilfe können wir den Bürger aktiv als „Datenlieferant“ in die Planung mit einbeziehen. Zum Beispiel in Open Street Map oder als „Melder“ in Katastrophensituationen und ersetzen manch klassische Datenerhebung. Ein weiteres mögliches Szenario: Bürger können mithilfe von Apps örtliche Vorkommnisse direkt an die Stadtverwaltung melden. Wer sich beispielsweise über ein Schlagloch oder eine defekte Straßenlaterne ärgert, ist sofort an der richtigen Adresse. Die Bürgerbeteiligung steigt. 

Das sind viele Beispiele. Fällt Ihnen zusätzlich noch ein Bereich ein, der den wichtigen Stellenwert von Geoinformationen unterstreicht?

Oh ja – GPS – ich sehe das als eine der Erfolgsgeschichten in der Geobranche! Wir nutzen in verschiedensten Transportmitteln Navigationssysteme. In der Luftfahrt erfolgt aktuell die Erprobungsphase der Integration hochgenauer Positionsbestimmungen gerade im An- und Abflugverfahren, insbesondere bei hochfrequentierten Flughäfen. Es ermöglicht eine engere sicherere Führung von Flugzeugen, Passagierzahlen lassen sich um 100 Prozent steigern.

Wie würden Sie die Entwicklung im Bereich Geoinformationen in den letzten Jahren beschreiben?

In den letzten 20 Jahren hat sich die Geoinformation von einem Spezialthema zu einem allgegenwärtigen Thema und einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor entwickelt. Statt einer geschlossenen Community von GIS-Experten mit langer Ausbildung zu einer offenen Community in der kollaborativ gehandelt wird – immer mehr Beteiligte mit Schwerpunkten außerhalb der eigentlichen GIS-Fachdisziplin kommen von ihrer Fachexpertise und integrieren Geoinformationen als ergänzende hilfreiche Informationen in ihre Prozesse und Applikationen. Begründet liegt dieses in der fortschreitenden Standardisierung sowie Vereinfachung im Zugriff und Nutzung von Geoinformationen. Mittlerweile nutzen 80 Prozent aller „Start up“ in ihren Anwendungen und Lösungen bereits Geoinformationen. Eine vergleichbare Veränderung finden wir auch bei den Nutzern. „Ottonormalverbraucher“ sind die größere Nutzergruppe mit 70 Prozent, die Gruppe der Experten fällt mit 20 bis 30 Prozent heute viel kleiner aus.
Das Angebot und die Vielfalt an digitalen Geodaten und Plattformen mit Zugriff auf diese ist riesengroß und kaum noch zu überblicken. Der Mehrwert von Geoinformationen entsteht durch die Verknüpfung verschiedenster Geodatenquellen mit weiteren Daten. Denken Sie an

  • 3D Stadtmodelle und 3D geologische Modelle
  • 4D Stadtmodelle inklusive Zeitreihen und Simulationen
  • hochauflösende Luft- und Satellitenbilder 
  • amtliche Bilder in der Öffentlichen Verwaltung

Die geschätzte Datenmenge für Deutschland liegt mittlerweile bei mehr als 25 Petabyte, mit steigender Tendenz. Mobile Apps bieten mittlerweile jederzeit und überall bedarfsgerechte Geodaten (von der reinen Karte bis hin zu komplexen 3D-Stadtmodellen inklusive augmented reality), die auch fleißig genutzt werden. Täglich wächst die „Gemeinde“ der Anbieter, des Angebots, der Nutzergruppen und der Nutzer. Die Geobranche hat sich in den letzten Jahren zunehmend „erneuert“ und ist heute ein Enabler für die digitale Gesellschaft.

Im Moment digitalisiert sich unsere Welt und alles verändert sich. Welche Rolle spielen Geoinformationen speziell im Zusammenhang mit der „Human Centric Innovation“ – unserer Vision und welches Potential sehen Sie in Ihnen?

Geoinformationen „wirken“ zum einen horizontal: sie bieten ein breites Feld an verschiedensten Anwendungsszenarien. Zum anderen wirken sie auch vertikal: (Geo)Daten werden auf verschiedensten Wegen erhoben, fortgeführt, analysiert und zur Weiternutzung bereitgestellt. Das sind im einzelnen sehr komplexe Teilprozesse. Damit wirken Geodaten von der Ebene „Mensch“ bis hin zur Ebene IT und deren Betrieb. Ich sehe Geoinformationen als das Paradethema für die „Human Centric Innovation“, eben weil es alle Ebenen betrifft und in jeder Ebene umfassend wirkt.

Können Sie uns ein Beispiel eines möglichen zukünftigen Einsatzszenarios geben?

Mehr als eins. Gehen wir die verschiedenen Bereiche einmal durch, wobei die Einsatzszenarien bereits heute bestehen:

  • Bereich Gesundheit: Wo befindet sich der Patient, der sekündlich über die an ihm heftenden Sensoren Informationen über seinen Zustand an die Zentrale liefert? Diese können dort in Realtime und automatisch ausgewertet und stets mit Referenzwerten verglichen werden. Sollte also eine kritische Situation eintreten, wird ein Rettungsdienst über die aktuelle räumliche Position des Patienten informiert. Das ist vor allem bedeutend bei Patienten mit gesundheitlichen Einschränkungen, die jedoch nicht in der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen sind.
  • Verkehrsplanung: Durch die permanente Übermittlung von Bewegungsdaten von verschiedenen Fahrzeugen erhalten wir einen Input für die aktive Verkehrssteuerung mit Ampeln, Alternativstrecken und Umleitungen. Gegebenenfalls könnten wir sogar Wetterdaten, die ja vorhanden sind, integrieren und damit den Fahrern weitere Entscheidungshilfen geben.
  • Katastrophenschutz: Mit Geoinformationen können wir diverse Sensordaten und darüber hinaus Satellitenaufnahmen und Luftbilder nutzen, um Einsatzkräfte in ihrer Planung und Tätigkeit aktiv zu unterstützen. Außerdem erhalten wir durch Geoinformationen immer einen aktuellen Überblick über die Lage vor Ort. Als aktuelles Beispiel möchte ich an dieser Stelle den „Notfall-Routenplaner für Nepal“ nennen – hochaktuelle Informationen aus dem aktuellen Zustand der Infrastruktur werden über das Internet bereitgestellt.
  • Energie: Mit Hilfe von Geoinformationen können neue Stromtrassen geplant und Standorte für potentielle Windparks analysiert werden, natürlich unter der Berücksichtigung der gesetzlichen Vorgaben.
  • Smart City: Ohne Geoinformationen könnten wir keine gesamtheimlichen Entwicklungskonzepte für (Mega)Städte entwickeln. Die Prozesse wären nicht nachhaltig effektiv und transparent durchführbar.
  • Marketing: Beziehen wir Geodaten und weitere Fachdaten mit Geobezug in die Marketing-Prozesse mit ein, lassen sich bestehende Informationen und insbesondere neue Informationen für eine effiziente und effektive Werbe- und Verkaufsmaßnahmen optimal planen, zum Beispiel durch die Nutzung von Bewegungsprofilen einzelner Menschen.

Und es gibt noch so viel mehr….Als weiteres Beispiel zum Thema Sicherheit: Verbrechenskartierung (crime mapping). Verbrechensmuster werden hier analysiert und unter Einbeziehung verschiedenster Datenquellen dargestellt. Somit kommen wir schon zum Thema für das nächste Mal – Big Data….

Fortsetzung folgt! Bis hierher erst einmal vielen Dank Herr Schöniger, wir freuen uns auf den zweiten Teil des Gesprächs mit Ihnen.

Im nächsten Teil des Interviews sprechen wir mit Johannes Schöniger über Geoinformationen und ihre Rolle in der Zukunft, der „Human Centric Innovation“. Freuen Sie sich auf eine spannende Verknüpfungen zwischen der Schlüsseltechnologie und den zukunftsbestimmenden Themen wie Big Data, Internet of Things, Social Media, Digitale Souveränität oder Cloud Computing.